SFB-Plenum Dezem­ber: Chris­tian Adam (Pots­dam)

Vortrag

18. Dezember 2025
12:00 – 14:00 Uhr
US-S 002 (Seminarzentrum Obergraben)

Im Dezember ist Dr. Christian Adam (Zentrum für Militär­geschichte und Sozial­wissen­schaften der Bundes­wehr) zu Gast in unserem Plenum und hält einen Vortrag mit dem Titel „Empi­rische Leser­forschung im National­sozia­lismus? Walter Hofmanns Institut für Leser- und Schrift­tums­kunde und die Quanti­fizierung des Popu­lären (1926–1937)“.

Die meisten werden überrascht sein, dass es unter einem Regime, das vor allem für die Bücher­verbren­nung und die brutale Zurich­tung des Kultur­betriebs bekannt ist, über­haupt empi­rische Leser­forschung gab. Sie wurde im Leip­ziger Institut für Leser- und Schrift­tums­kunde betrieben, gegründet und geleitet von Walter Hof­mann (1879–1952). Hof­mann kam aus der Volks­bücherei­bewe­gung und wid­mete sich mit seinem Institut zwischen 1926 und 1937 der Frage, was Biblio­theks­nutzende – differen­ziert nach Geschlecht und sozialer Zugehö­rigkeit – bevor­zugt lesen. Damit bildet die Quanti­fizie­rung des Popu­lären bei Hof­mann und seinen Mitar­beite­rinnen und Mitar­beitern den Ausgangs­punkt aller Über­legungen und Forschungs­arbeiten.
Das Institut sollte Grund­lagen­forschung zum Verhält­nis von „Volk und Buch“ betrei­ben, mit diesem Wissen Biblio­thekare aus­bilden und moderne Metho­den der Biblio­theks­arbeit entwickeln. Hof­mann ließ auf Basis der Ausleih­zahlen der Leip­ziger Bücher­hallen statis­tische Daten über das Lese­verhal­ten seiner Unter­suchungs­gruppe erheben. Für ihn stand dabei der Erziehungs­gedanke im Vorder­grund, der die gesamte Volks­biblio­thekars­bewe­gung antrieb: Leser und Lese­rinnen sollten – bei Hof­mann nun empi­risch fundiert – zur „guten Lektüre“ geführt werden. Metho­den und Forschungs­ergeb­nisse des Insti­tuts, etwa die StudieDie Lektüre der Frau. Ein Beitrag zur Leser­kunde und zur Leser­führung (1931), sorgten auch inter­national für Auf­sehen und begrün­deten einen wissen­schaft­lichen und perso­nellen Austausch mit Douglas Waples, einem Pionier der US-amerika­nischen Leser­forschung in Chicago. Im Dritten Reich schienen sich Hof­manns Ansätze und Ziele zunächst mit denen vieler NS-Kultur­politiker zu decken. Aller­dings besie­gelte die Wissen­schafts­feind­lich­keit des Regimes und die Angst vor dem mün­digen Leser nicht nur das Ende der ergebnis­offenen Leser­forschung im Dritten Reich, sondern auch von Hof­manns Karriere als Instituts­leiter und Vordenker der Volks­biblio­thek.
Christian Adam stellt im SFB-Plenum diese laufenden Forschungen zu Walter Hof­mann vor, die einge­bettet sind in seine lang­jährige Aus­einander­setzung mit Rolle und Funk­tion popu­lärer Lese­stoffe zwischen Weimarer Republik und Nach­kriegs­deutsch­land.

Christian Adam leitet den Fach­bereich Publi­katio­nen am Zentrum für Militär­geschichte und Sozial­wissen­schaften der Bundes­wehr in Pots­dam. Er promo­vierte an der Humboldt-Univer­sität zu Berlin mit einer bio­grafi­schen Studie über einen Mitar­beiter in Goebbels’ Propa­ganda­ministe­rium: Strom­linien. Wilfrid Bade – Eine Karriere im Dritten Reich (2004). Sein persön­liches Forschungs­interesse gilt popu­lären Lese­stoffen. Zu diesem Themen­kreis hat er zwei viel beach­tete Mono­grafien veröffent­licht: Lesen unter Hitler. Bestseller, Autoren, Leser im Dritten Reich (2010, als Fischer TB 2013) – auch eine englische Über­setzung ist erschienen: Bestsellers of the Third Reich. Readers, Writers and the Politics of Literature (2021) – und Der Traum vom Jahre Null. Autoren, Bestseller, Leser: Die Neuordnung der Bücherwelt in Ost und West nach 1945 (2016).