Die Horen, ein exklu­si­ver Zirkel? Schil­lers ‚popu­lä­re‘ Jour­nal­po­li­tik

Vortrag

Gastvortrag von Lydia Rammerstorfer (Wien)
09. Juni 2022
18:15 Uhr
US-C 102

Die von Friedrich Schiller herausgegebenen Horen (1795 bis 1797 bei J.F.
Cotta in Tübingen) gelten als eines der zentralsten klassizistischen
Kunstorgane des 18. Jahrhunderts, nicht zuletzt wegen der namhaften
Beiträger besonders des Gründungsjahrganges. Unter den ursprünglich
25 Autoren, die Schiller in seiner Ankündigung präsentierte, findet sich
mit J.W. Goethe, A. Schlegel, G. Herder und A. Humboldt ein Querschnitt
der kulturellen, philosophischen und literarischen Elite Deutschlands zu
dieser Zeit, wie die Forschung, rekurrierend auf den Ankündigungstext,
immer wieder konstatiert hat. Im Rahmen des Vortrages soll anhand einer
Analyse der Beitragendenakquise (besonders: Schillers briefliche
Korrespondenzen 1794 / Einladung zur Mitarbeit), gezeigt werden, dass
Schiller allerdings um ein breiteres Spektrum an Mitarbeitern bemüht
war, als es die Ankündigung und seine vordergründig projektierten
Ansprüche vermuten lassen würden. Grosso modo lud er nämlich nicht nur
ein, wessen Arbeit er schätzte, sondern auch, wen er brauchte. Dazu
zählten auch ‚populäre‘ Autoren (im Sinne von dem, was Vielen gefällt),
die er zur „Lockspeise“ machen wollte, galt, wie er gegenüber einmal
Körner konstatierte, sein „Nahme […] doch nicht gerade bei allen
Klassen“.
Sind Schiller ‚populäre‘ Autoren auf der Ebene der theoretischen
Reflexion, wie an der Kontroverse mit G. A. Bürger deutlich wird, ein Dorn
im Auge, so sind sie im praktischen Alltagsgeschäft, im Rahmen der
Zeitschriftenpublizistik der 90er Jahre, weniger Gegner denn
Notwendigkeit. Ihre Teilnahme an den Horen ist gar eine Voraussetzung
für deren Gründung und Bestehen; eine Voraussetzung, um die Schiller
als akribischer Beobachter des zeitgenössischen Literaturbetriebes,
gekennzeichnet durch Anonymisierung und Heterogenisierung (der
Leserschaft), wusste. Unter diesen Bedingungen wird die publizistische
Zusammenarbeit mit ‚populären‘ Autoren für Schiller geradezu zum
Kriterium für ökonomischen Erfolg, trifft sie auch, bisweilen gleichzeitig,
auf einen gänzlich konträren kunsttheoretischen Diskurs (Schillers), der
in einer Abwertung von ‚Popularität’ – pejorativ, im Sinne falscher,
problematischer Künstlerschaft – besteht, und dadurch zur symbolischen
Aufwertung und letztlich auch Ausstellung und Durchsetzung von
künstlerischer Autonomie beiträgt. Daran angeschlossen werden können
demnach nicht nur Fragen nach Ausverhandlungsprozessen von
literarischer Legitimität und Geschmack im Zuge der fortschreitenden
inneren Differenzierung des Literaturbetriebes, sondern auch nach dem
Verhältnis von theoretischer Reflexion und (Applikation auf die) Praxis,
die es bei Schiller stets kritisch zu reflektieren gilt.