CFP: Jahres­ta­gung 2023 - Para­texte des Popu­lä­ren

Jahrestagung

Die Tagung (4. – 6. Oktober 2023) untersucht, welches Verhältnis Paratexte zu Phänomenen des Populären unterhalten.

Wir freuen uns auf Vorschläge für Tagungsbeiträge (max. 1 Seite) bitte bis zum 15.02.2023.

Kurzexposé bitte an:

Prof. Dr. Georg Stanitzek
stanitzek@germanistik.uni-siegen.de

[English Version] Paratexte geben Texten und mit ihnen vergleichbaren kulturellen Produktionen eine für ihre Rezeption, Produktion und Zirkulation, kurz: für ihre Kommunikation unabdingbare Kontur. Das macht sie für die Frage nach den Transformationen des Populären interessant. Bereits Gérard Genette hatte darauf hingewiesen, dass Paratextualität zusammen mit der Medienevolution variiert und neue Formen etabliert. Die Forschungsdiskussion der letzten Jahrzehnte hat diesen Hinweis insofern aufgenommen, als sie das Konzept erfolgreich auf den Kinofilm, auch auf den Fernsehflow hin bezogen und angepasst hat. In vielfältigen Ansätzen wird überdies inzwischen erprobt, prägnante Phänomene der digitalen Ära mit paratexttheoretischen Begriffen zu erfassen: Games, Posts und Threads in verschiedenen Umgebungen, Hypertexte aller Art.

War Genettes initialer theoretischer Einsatz fast ausschließlich vom Werk-als-Buch-Paradigma bestimmt und entsprechend autorzentriert, so kommen mit medienhistorischer Differenzierung zunehmend alternative Bezugsgrößen in den Blick. Parallel dazu wird auch in der Literatur- und nicht zuletzt in der Editionswissenschaft versucht, im Hinblick auf Zeitungen und Zeitschriften, Briefe und Miszellaneen die jeweils gegebene Text-Paratext-Relation begrifflich neu zu fassen. Zwischenzeitlich sind vor allem Untersuchungen epitextueller Phänomene dazu übergegangen, ihrem Gegenstand Textstatus zuzuschreiben, das heißt ihn auf Paratexte zweiter Ordnung hin zu analysieren. Im Zuge solcher Forschungstendenzen löst sich die in der ursprünglichen Konzeption scheinbar ohne weiteres vorausgesetzte Differenz von Text und Paratext in eine relational komplexe paratextuelle Architektur hinein auf – womöglich bis hin zur Inversion der Unterscheidung.

Entgegen einem Begriffsverständnis, das Paratexte als umstandslos, das heißt unbeschadet des von ihnen eingefassten Textes ablösbare Randstücke auffasst, empfiehlt es sich, sie als Parerga im Sinne Jacques Derridas ernstzunehmen. Als solche bleiben sie weder in der peri- noch in der epitextuellen Dimension den von ihnen gerahmten Texten gegenüber äußerlich. Stattdessen sind sie ihnen eventuell bis in ihre materiale Faktur hinein eingewoben. Wenigstens der Möglichkeit nach prägt also der heteronome paratextuelle Hilfsdiskurs die autonome Gestalt des Textes ebenso mit wie vice versa. Kurz: selbst wenn sie die Form von Verpackungen oder Umschlägen annehmen, wirken Paratexte doch im Innern des Verpackten.

Mögen viele Paratexte wesentliche Funktionen in Strategien und Taktiken des Marketings erfüllen, gehen sie darin doch so wenig auf, dass es sich zu fragen lohnt, ob ihnen im Verhältnis zu ihrem Text nicht die Rolle von Teilen im Verhältnis zum Ganzen zukommt. Das allerdings ist eine Frage, für die es keine Passepartout-Antwort gibt. War es Genettes strukturalistischer Ehrgeiz, eine Art allgemeine Grammatik des Paratexts zu entwerfen, so hat er doch der historisch-hermeneutischen Analyse einzelner paratextueller Erscheinungen das letzte Wort eingeräumt. Auch kritisch-prüfende, seinen Ansatz modifizierende Forschungen tun bis auf weiteres gut daran, ihm hierin zu folgen.

Paratexte unterhalten besondere Beziehungen zu Phänomenen des Populären. Denn in der Zone der Paratextualität wird ausgehandelt, wie Texte oder andere Artefakte in der Öffentlichkeit erscheinen, aufgenommen werden, zirkulieren. Paratexte konturieren also deren Profil parergonal auch nach außen hin. Bereits die frühneuzeitliche Kritik einer »Marktschreyerey der Gelehrten« und noch die in der digitalmedialen Gegenwart fällige Beanstandung von »Clickbaiting« machen klar, dass es sich hierbei um ein spannungsvolles Verhältnis handeln kann. Andere paratextuelle Formen allerdings rechtfertigen es geradezu, von Paratexten der Popularität zu sprechen. Diese bedienen sich einerseits der mitunter bis ins Drastische prägnanten Signifikanten der populären Kultur und versuchen andererseits selbst solche hervorzubringen.

Die Praktiken der massenmedialen Blockbuster-Kultur dürften in dieser Hinsicht nach wie vor das maßgebliche Modell darstellen. Die für Popularität schlechthin konstitutiven Erfolgszahlen verdienen aber auch in weiteren Medien Beachtung: Auflagenzahlen spielen bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts in biblionomen Peritexten ihre Rolle; inzwischen sind Aufrufe, Clicks und Likes registrierende Zählwerke in vielen Digitalmedien geradezu Standard, auf Social Media-Plattformen sind sie bedeutende Bestandteile des dort programmierten paratextuellen Regimes. Es gibt »Goldene Schallplatten«; Bücher, DVDs, Videospiele werden mit Angaben zu ihrer Besten- und Bestsellerlistenplatzierung ausgezeichnet und so fort. Peri- und Epitexte werden hierbei nicht selten zu Treibern oder Erzeugern von Popularität, indem sie variierend vervielfältigt werden und proliferieren. Dass die Produktionen populärer Kultur zur Serialität inklinieren, stellt die von Haus aus auf Einzelwerke zentrierte Paratexttheorie vor besondere Herausforderungen. Das gilt auch für die Selbstverständlichkeit, mit der diese Produktionen neue intermediale und materielle Verbindungen eingehen, in denen die Funktion von Paratexten zu untersuchen wäre.

Die zum Thema geplante Konferenz sieht vier Sektionen vor:

  • Buch und Taschenbuch
  • Heftliteratur, Zeitschriften und Briefe
  • Film, Fernsehen und Computerspiele
  • Digitale Plattformen

In allen genannten und weiteren Hinsichten bleibt für die Forschung sowohl eine enorme Bandbreite paratextueller Formen zu explorieren als auch teilweise erst neu zu konzeptualisieren. Hierzu laden wir interessierte Forscher*innen freundlich an die Universität Siegen ein (und bitten Sie um ein kurzes Exposé ihres geplanten Beitrags zu unserer Konferenz bis zum 15.02.2023).

Exposés bitte an Prof. Dr. Georg Stanit­zek:
stanitzek@germanistik.uni-siegen.de