Jahres­ta­gung 2024 – Proble­ma­ti­sche Popu­la­ri­tät

Jahrestagung

09. – 11. Oktober 2024
Universität Siegen
Obergraben 25
Raum US-S 002
57072 Siegen

Lageplan

Externe Gäste sind herzlich willkommen!
Für unsere Planung bitten wir um Anmeldung bei Alinda Brandt (alinda.brandt@student.uni-siegen.de).

Populär ist, was bei vielen Beachtung findet. Dass es viele sind, die eine Position vertreten, eine Partei favorisieren oder eine Meinung ins Spiel bringen, macht für die Anschlusskommunikation einen Unterschied. Auf die Substanz, die Qualität, den Sachgehalt der Argumente, Programme oder Personen kommt es in dieser Frage der Legitimation durch Popularität weniger an als darauf, dass erfolgreich unterstellt werden kann, sie seien bereits populär. So genügt es etwa in Diskussionen um den politischen Populismus nicht, dessen programmatische Elemente zu bestimmen. Vielmehr sind auch die Popularität der Programme und Personen zu berücksichtigen und – umgekehrt – die Effekte der Popularität auf die weitere Entfaltung bzw. Entwicklung dieser Programme und Personen. Problematisch erscheint die Popularität für die publizistische, akademische oder politische Beobachtung, weil es diskursiv schwerfällt, die Nicht-Beachtung von Positionen zu fordern, die empirisch bereits von vielen beachtet werden. Die Rechtfertigung, populäre Positionen nicht zu beachten, scheint heutzutage schwerer zu fallen als in den Zeiten, in denen unerwünschte Popularität als ‚geistlos‘, ‚eindimensional‘, ‚schematisch‘, ‚pöbelhaft‘, ‚niveaulos‘ diskreditiert werden konnte. Die Versuche, diejenigen ‚Vielen‘, die populistischen oder polarisierenden Akteuren und Agenden anhängen, als ‚dumm‘ oder ‚undemokratisch‘ zu stigmatisieren, zeigen die Herausforderung der problematischen Popularität an.
Welche Rolle spielt die Verteilung von Beachtung, die Legitimation durch Popularität, die Moralisierung von Nicht-Beachtung für unsere Gesellschaft? Dieser Frage gehen die Vorträge der Jahrestagung des SFB 1472 „Transformationen des Populären“ nach, um die Konfliktdimension der Popularität in den Fokus zu nehmen.

Programm

09.10.24

15:00 – 17:00 Uhr

Niels Werber (Siegen)

Begrü­ßung und Einfüh­rung


Stephan Habscheid (Siegen)

Wissens­po­li­tik, Büro­kra­tie, Bezie­hungs­­a­spekt: Ressour­cen der Bürger­­meis­ter­­kom­mu­ni­ka­tion im Umgang mit proble­ma­ti­scher und prekä­rer Popu­la­ri­tät

Mode­ra­tion:
Jörg Döring

09.10.24

17:00 – 17:30 Uhr

Kaffee­pause

09.10.24

17:30 – 18:30 Uhr

Sylvia Sasse (Zürich)

Umge­kehr­ter Popu­lis­mus

Mode­ra­tion:
Corne­lia Wild


Program­m­än­­de­rung:
Der Vortrag von Bern­hard Klee­­berg (Erfurt): „Reak­ti­o­näre Epis­te­­mo­lo­­gien. Wahr­heit und das popu­läre Bild der Wissen­­schaf­ten“ fällt leider aus!

09.10.24

19:00 Uhr

Abend­es­sen

10.10.24

10:00 – 12:00 Uhr

Nils C. Kumkar (Bremen)

Pola­ri­sie­rung: eine notwen­dig falsche Beob­ach­tung?


André Kieser­ling (Biele­feld)

Proble­ma­ti­sche Popu­la­ri­tät in den Massen­me­dien

Mode­ra­tion:
Daniel Stein

10.10.24

12:15 – 14:00 Uhr

Mittags­pause

10.10.24

14:00 – 16:00 Uhr

Johan­nes Fran­zen (Siegen)

Weinen um Winne­tou – Kunst als Trig­ger­punkt


Theresa Heyd (Heidel­berg) & Heide Volke­ning (Greifs­wald)

Ich mag normale Sachen: Cringe Culture und Witz als Abwer­tung bei @sve­a­maus

Mode­ra­tion:
Hans Rudolf Velten

10.10.24

16:00 – 16:30 Uhr

Kaffee­pause

10.10.24

16:30 – 18:30 Uhr

Caro­lin Amlin­ger & Oliver Nacht­wey (Basel)

Chief-Ampli­fier des Auto­ri­ta­ris­mus


Maren Lehmann (Fried­richs­ha­fen)

Über­trump­fungs­ri­va­li­tät: Popu­la­ri­tät als Proble­ma­ti­sie­rung ihrer selbst

Mode­ra­tion:
Theresa Specht

10.10.24

19:00 Uhr

Abend­es­sen

11.10.24

10:00 – 12:00 Uhr

Philip Manow (Siegen)

Der Popu­lis­mus ist die Frage des Libe­ra­lis­mus als Gestalt. Das euro­pä­i­sche Projekt und seine Feinde


Marcel Lewan­dow­sky (Mainz)

Auf verlo­re­nem Posten? Empi­ri­sche Anmer­kun­gen zu partei­po­li­ti­schen Gegen­stra­te­gien zum Rechts­po­pu­lis­mus

Mode­ra­tion:
Corne­lius Schu­bert

Abstracts

Stephan Habscheid

Wissenspolitik, Bürokratie, Beziehungsaspekt: Ressourcen der Bürgermeisterkommunikation im Umgang mit problematischer und prekärer Popularität

Partizipative Formate in der Kommunalpolitik konkretisieren Demokratie durch Interaktion (Hausendorf 2008), Partizipation muss aber auch in Kauf nehmen, dass die „Konfliktagenda des Populären“ weiter angetrieben wird. Dabei ist die Kommunalpolitik keineswegs so unproblematisch, wie mitunter fadenscheinig behauptet wird: Verhandelt werden nicht nur pragmatische, mehr oder weniger ideologiefreie Alltagsthemen, sondern auch emotional hoch aufgeheizte politische Streitfragen: Umwelt- und Verkehrspolitik, Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften, Konflikte um mit Migration verbundene kulturelle Phänomene. Ein Rathaussaal, der bis auf den letzten Platz mit ärgerlichen oder gar wütenden Bürgerinnen und Bürgern besetzt ist, vermittelt performativ die Erfahrung der (vermeintlich) Vielen, ihre berechtigten Anliegen würden nicht ausreichend gehört. Andererseits wird eine Kultivierung der Konflikte durch „mehr Partizipation“ erwartet. Nicht zuletzt Bürgermeister:innen sollen diese Spannung zwischen konfliktträchtiger Popularität und demokratischer Beteiligung moderieren, wobei zugleich ihre eigene, prekäre Popularität auf dem Spiel steht. Der Vortrag behandelt verschiedene kommunikative Ressourcen, auf die Bürgermeister:innen unter diesen Bedingungen zurückgreifen, und untersucht deren Chancen und Risiken auf sprachwissenschaftlicher Grundlage: den Ausgleich von Konflikten durch rechtsstaatliche Bürokratie, das wissenspolitische Agieren expertischer Vermittler (Stehr & Grundmann 2010) und die Beziehungskommunikation auf der Basis einer Differenzierung von Amt und Person.

Bernhard Kleeberg

Reaktionäre Epistemologien. Wahrheit und das populäre Bild der Wissenschaften

Die Debatten um Postfaktizität und die Politisierung von Wissenschaft kreisen um epistemische Normen und Ideale und mit ihnen um Wahrheitstheorien, die universelle Gültigkeit beanspruchen, jedoch in historisch spezifischen Zusammenhängen des 19. und 20. Jahrhunderts entstanden sind. Widerspruch gegen solche populären Vorstellungen von Objektivität und Wahrheit führt schnell zu dem Vorwurf, auf der falschen Seite zu stehen. Dabei werden sie in einer Art epistemologischer Täter-Opfer-Umkehr zusehends dazu genutzt, wissenschaftliche Rationalität zu untergraben. Gegen diese wird mit der unmittelbaren Evidenz der Augenzeugin und der genialen Dissidenz des großen Wissenschaftlers argumentiert, wird die epistemische Selbstbehauptung des einfachen Mannes oder die totale Authentizität des Führers stark gemacht. Dem soll anhand praxeologischer und sozialpsychologischer Überlegungen nachgegangen werden.

Sylvia Sasse

Umgekehrter Populismus

In meinem Buch Verkehrungen ins Gegenteil habe ich rhetorische Strategien der Inversion, Projektion oder Verkehrung analysiert, die auch typisch sind für populistische Akteur:innen. Eine der rhetorischen Verkehrungen betrifft auch den Begriff „Mainstream“. Dabei geht es in der Regel darum, die demokratische Mehrheit oder die andere Meinung als „Mainstream“, d. h. als systemtreu, zu diskreditieren und das eigene Tun als subversiv, als mehrheitlich oder einfach als unterdrückte Stimme des Volkes zu legitimieren. In meinem Vortrag rekonstruiere ich die Umdeutung von „Mainstream“ als „westlich“ und „konformistisch“ im Putin-Regime und frage nach der Geschichte dieser Verkehrung in der russisch/sowjetischen Geschichte.

Nils C. Kumkar

Polarisierung: eine notwendig falsche Beobachtung?

André Kieserling

Problematische Popularität in den Massenmedien

Der geplante Vortrag soll seinem Titel an zwei Themen nachgehen: am Boulevard­journalismus und an dem inversen Gefälle zwischen ihrer Popularität und ihrem Prestige, das zwischen Berichtsgebieten wie etwa Kultur und Sozialklatsch oder Politik und Verbraucher­beratung besteht.

Johannes Franzen

Weinen um Winnetou – Kunst als Triggerpunkt

Debatten um Romane, Filme, Musik oder bildende Kunst können heftig eskalieren – gerade dann, wenn sich ästhetische Fragen mit politischen Anliegen verbinden. In der Gegenwart haben sich öffentliche Konflikte vor allem im Rahmen einer neuen Zensurdebatte angelagert. In dieser Debatte geht es um den Streitgegenstand einer angeblich bedrohten Expressionsfreiheit, die durch moralische oder politische Kritik eingeschränkt wird (Stichwort ‚Cancel Culture‘). Vor diesem Hintergrund soll untersucht werden, wann eine ästhetische Diskussion gesellschaftliche ‚Triggerpunkte‘ (Mau, Lux, Westheuser) berührt. Am Beispiel der erbitterten Kontroverse über das ‚Winnetou-Verbot‘ (2022) sollen die Prozesse analysiert werden, die zu einer Politisierung literarischer Diskurse führen können. Grundlage dafür ist vor allem das digitale Kommentargeschehen.

Theresa Heyd & Heide Volkening

Ich mag normale Sachen: Cringe Culture und Witz als Abwertung bei @sveamaus

Vor der Kür zum Jugendwort 2021 hatte cringe längst eine Karriere in Form von Comedy, in digitalen Kontexten, und auch als digitales Bullying hinter sich. Cringe Culture bezeichnet spezifische Praktiken der Herabwürdigung, bei denen als abweichend wahrgenommene Nutzer:innen oder Stile als cringe markiert, digital konsumiert und beschämt werden. Cringe Culture bewegt sich zwischen spielerischen Formen und weitreichender sozialer Stigmatisierung. Wir betrachten exemplarisch den Instagram-Account @sveamaus der Künstlerin Svea Mausolf, der im produzierten Content und der metadiskursiven Rahmung Verfahren der Cringe Culture aufgreift und ambivalent reproduziert.
Ästhetische Dimensionen finden sich in der Verlach-Komik als Darstellungsverfahren, die sveamaus auf einer Beobachtungsebene zweiter Ordnung nutzt, insofern diejenigen zum Opfer der Darstellung werden, die sich als Verkörperung einer gesellschaftlichen Norm verstehen. Verfahren der Serialität, des tendenziösen Witzes (nach Freud) und der visuellen Verzerrung werden als Strukturprinzipien eingesetzt.
Soziolinguistisch betten sich diese in die semiotische Herstellung von Sozialfiguren ein, die durch die Evokation von lexikalischen Feldern des Kleinbürgertums konturiert und mit körpersprachlichen Details sowie typografischen Markern linguistisch ausgestaltet werden. Sveamaus-Content steht in einer Tradition der sprachlichen Herstellung von sozialer Distinktion insbesondere gegenüber als kleinbürgerlich markierten Praktiken.

Carolin Amlinger & Oliver Nachtwey

Chief-Amplifier des Autoritarismus

Es war ein Taylor-Swift-Tanzkurs für Kinder in Southport, bei dem ein Mann drei Mädchen mit einem Messer tötete. Spekulationen in den sozialen Medien über die Identität des Täters behaupteten, es handele sich um einen muslimischen Asylbewerber. Videos über muslimische Gewalt und Verschwörungstheorien, dass die Behörden den Hintergrund der Tat verschleiern wollten, verbreiteten sich rasend schnell. Es folgten schwere pogromartige Krawalle, die mehrere Städte erschütterten. Ein maßgeblicher Agitator der Explosion von Fake News, Verschwörungstheorien und Rassismus in den sozialen Medien war Tommy Robinson, der bekannteste britische Rechtsextremist, der von seinem Hotelzimmer in Zypern aus der digitale Knotenpunkt der vernetzten Gewalt war. Auf Twitter/X folgen ihm mehr als 900.000 Personen. Das Besondere: Sein Account (wie auch der des maskulinistischen Influencers Andrew Tate) war ursprünglich von Twitter gesperrt worden. Nachdem Elon Musk die Plattform gekauft und in X umbenannt hatte, gab er ihre Konten wieder frei. Der Chef von Tesla, X und SpaceX und dazu noch reichste Mann der Welt stellte aber auch klar, dass er sich mittlerweile als Chief-Amplifier des Autoritarismus versteht. Ein Bürgerkrieg, so kommentierte er, sei in Großbritannien unausweichlich, wohlwissend, dass er die rechtsradikale Trope der Überfremdung bediente. Musk entließ nicht nur den Großteil des Teams zur Content-Moderation bei Twitter, sondern nutzte auch seinen eigenen Account, um Fake News über die Unruhen weiterzuleiten.
Als der britische Premier Keir Starmer ihn dafür kritisierte, verglich er ihn mit der Zensurpolitik des Stalinismus. Musk ist sowohl Entrepreneur als auch Verstärker problematischer Popularität – denn niemand ist populärer auf Twitter/X. Er hat mittlerweile den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama mit 132 Millionen Followern nicht nur überholt, sondern geradezu abgehängt mit seinen nun 194 Millionen Followern. Er hat doppelt so viele Follower wie Donald Trump und Taylor Swift.
Musk hat in der Vergangenheit immer wieder mit rechtsextremen Influencern interagiert und damit nicht nur ihre Inhalte unterstützt, sondern sich als ihr algorithmischer Verstärker betätigt – denn die Interaktion mit Musk bringt ihnen viel Aufmerksamkeit. Wenn Musk auf den Beitrag eines anderen Nutzers antwortet, wird vielen seiner Millionen Follower der ursprüngliche Inhalt des Posts angezeigt – selbst wenn sie dem Konto, das den Beitrag zuerst veröffentlicht hat, nicht folgen. Durch seine Follower-Popularität verleiht Musk diesen Beiträgen Beachtung und invertiert die demokratische Legitimation: Gewählte Repräsentanten unterliegen seinem Urteil oder sollen sich vor ihm für ihr Handeln rechtfertigen, etwa als er den deutschen Bundeskanzler bei Twitter/X aufforderte, dass dieser auch für die Entlassung von El Hotzo bei einem öffentlichen Rundfunksender sorge.
Der Beitrag untersucht ausgehend von Elon Musk neue Konfigurationen des libertären Autoritarismus, die sich nicht nur aus strukturellen Pathologien von sozialen Ordnungen, sondern ebenso aus populären, virtuell vernetzten Gefühlsstrukturen speisen. Ein Führerkult ist heute nicht länger zu beobachten, eine mal mehr, mal weniger subtile Führung der Gefühle hingegen umso stärker.

Maren Lehmann

Übertrumpfungsrivalität: Popularität als Problematisierung ihrer selbst

Der Beitrag fragt nach den Folgeproblemen der Problematisierung von Popularität. Sie dürften sich ergeben, wenn diese Problematisierung ihrerseits auf Popularität spekuliert.
Zunächst soll problematische Popularität als problematisierte Popularität verstanden und in verschiedenen funktionalen Systemreferenzen diskutiert werden (rechtlich stellt sie sich anders dar als politisch, wissenschaftlich, pädagogisch, künstlerisch oder wirtschaftlich, in Freundeskreisen oder Familien anders als in Schulen oder Behörden). Schon in diesem Systemgeflecht kann man davon ausgehen, dass Popularität sich sehr wahrscheinlich auf vielerlei Weise selbst problematisiert. Eine Anschlussüberlegung nimmt an, dass Popularität in all diesen Feldern als (keineswegs nur quantitative) Steigerungs- und Übertrumpfungsrivalität angelegt werden kann. Auch dies mündet in eine Praxis der Selbstproblematisierung, auch wenn dabei nicht Aussagen oder Sinnzusammenhänge ‚unerwünscht‘ sind, sondern einschränkende Umgangsformen, träge Konventionen und Habitūs, bürokratische Verfahren usw. V. a. politische, aber auch unternehmerische Populismen, so die skizzierte These, problematisieren all diese ‚Unerwünschtheiten‘ (etwa Formen des Takts, des Zögerns, der Generosität und der Freundlichkeit, aber auch der Gesetzmäßigkeit, der Routine, der Regeltreue, der Verbindlichkeit und der Verantwortlichkeit) als unpopuläre Hemmnisse, Skrupel und Schwächen. Sie tun dies nicht als von außen urteilende Beobachter, sondern im praktischen Vollzug hemmungslos engagierten und auf spezifische, zwischen Glücksspiel und Gewalt changierende Weise intelligenten, geschickten Rivalisierens um Popularität. Nach dieser Spezifik möchte der Vortrag abschließend fragen.

Philip Manow

Der Populismus ist die Frage des Liberalismus als Gestalt. Das europäische Projekt und seine Feinde

In der Literatur wird das Aufkommen der neuen populistischen Parteien vorherrschend als Ausdruck einer neuen Spaltungslinie in der ‚zweiten Dimension‘ des politischen Raums interpretiert, die zwischen den Polen ‚Demarcation‘ und ‚Integration‘ oder GAL (green-left-alternative) vs. TAN (traditional-authoritarian-nationalist) oder zwischen Kommunitaristen und Kosmopoliten verläuft. Der Vortrag kritisiert diese Interpretation und entwickelt eine alternative Deutung: mit der De-Konsolidierung des Nationalstaats lösen sich potenziell alle politischen Spaltungslinien auf, die sich an ihm und in ihm ausgebildet hatten.

Marcel Lewandowsky

Auf verlorenem Posten? Empirische Anmerkungen zu parteipolitischen Gegenstrategien zum Rechtspopulismus

Sind die Wähler der Rechtspopulisten für Parteien des Mainstreams noch erreichbar? Die Wahlerfolge von Parteien wie der AfD, der FPÖ oder dem Rassemblement National konfrontieren die etablierten Parteien mit der Frage, inwiefern und mit welchen Strategien die Wähler der Rechtspopulisten (zurück)gewonnen werden können. Die öffentliche Debatte dreht sich dabei vor allem um Potenziale der thematischen Annäherung: Schaffen es die anderen Parteien, insbesondere den Themenkomplex Migration und Asyl zu bedienen, würden die Rechtspopulisten ihres unique selling point verlustig gehen. Dabei allerdings handelt es sich um eine eindimensionale, issue-fokussierte Perspektive, die populistische Einstellungen, die Perzeption des Parteienwettbewerbs und die politische Selbstwahrnehmung ihrer Wähler weitestgehend ignoriert. Der Beitrag greift dabei den Ansatz der availability auf, der die Verfügbarkeit von Wählern als mehrdimensionales Konzept misst. Im europäischen Vergleich wird damit gezeigt, welche Einstellungen die availability bedingen und welche strategischen Implikationen sich daraus für die etablierten Parteien ergeben.