Jahrestagung 2025 – Doing Popularity
15. – 17. Oktober 2025
Universität Siegen
Obergraben 25
Raum US-S 002
57072 Siegen
Externe Gäste sind herzlich willkommen!
Für unsere Planung bitten wir um Anmeldung bei Milena Loos (milena.loos@student.uni-siegen.de).
„Doing Popularity“ rückt die Produktionsweisen von Popularität in den Fokus der Aufmerksamkeit. Die Jahrestagung lenkt den Blick auf die Praktiken der Beachtungserzeugung und fragt, wie diese methodisch und konzeptuell erfasst werden können. Beachtung von vielen ist eben nicht selbstverständlich gegeben. Vielmehr muss sie kontinuierlich (re‑)produziert, gehegt und gepflegt werden. Die Verteilung von Beachtung mobilisiert Personen und Dinge, Praktiken und Medien dabei in je feldspezifischer Weise. Unterschiedliche Felder bilden zudem eigene Asymmetrien, Axiologien und Intensitäten der Beachtung aus. Die Produktion von Beachtung ist somit immer eine Koproduktion verteilter und heterogener Instanzen. Nicht zuletzt bedeutet dies auch, dass „problematisierte Popularität“ ebenso das Produkt eines Produktions- und Aushandlungsprozesses ist, der durch konkrete Praktiken die Positionen der Beteiligten manifestiert und (de‑)legitimiert.
Die Beiträge der Jahrestagung folgen diesen Überlegungen aus unterschiedlichen praxeologischen Perspektiven und in verschiedenen Feldern. So stehen die Aufmerksamkeitsmodi digitaler Medien durch Künstliche Intelligenz und Influencing, die Messung von Beachtung durch Einschaltquoten und Klickzahlen oder literarische Popularitäten im Zentrum. Weitere Vorträge widmen sich den Beachtungspraktiken in der populären Musik, dem Film, dem Design, der Wissenschaftskommunikation und der Erinnerungskultur. Sie alle fragen nach den „doings“ der Popularitätserzeugung und den methodischen Zugängen zu diesen Praktiken. Damit eröffnen Sie einen breiten Horizont an empirischen Fällen und theoretischen Ansätzen und regen den SFB zur Diskussion und Zwischenbilanzierung seiner eigenen Forschungsagenda an.
Programm
14:00 – 15:00 Uhr
Stephan Habscheid (Siegen), Katharina Knorr (Siegen), Johannes Paßmann (Bochum) & Cornelius Schubert (Dortmund)
Einführung:
Doing Popularity
15:00 – 16:00 Uhr
Carolin Gerlitz (Siegen)
Fabricating Popularity? Zur Ko-Produktion von Popularität in digitalen und KI-basierten Methoden
16:00 – 16:30 Uhr
Kaffeepause
16:30 – 17:30 Uhr
Sophia Prinz (Zürich)
Die gute Form?
17:30 –19:00 Uhr
Keynote
Steffen Martus (Berlin)
Erfolg mit und ohne Popularität: Zur Praxeologie literarischer Quantität
19:00 Uhr
Abendessen
10:00 – 11:00 Uhr
Mirco Liefke (Berlin)
Bauchgefühl und Einschaltquote: Redaktionelle Entscheidungen unter Ungewissheit
11:00 – 12:00 Uhr
Ronja Trischler (Dortmund)
Referenzbilder: Gemeinsam „glaubhafte“ Filme gestalten
12:00 – 13:30 Uhr
Mittagspause
13:30 – 14:30 Uhr
Anastasia-Patricia Och (Bochum)
Influencing: Popularisierung als Business
14:30 – 15:30 Uhr
Lisa Gerzen & Mika Schories (Bochum)
Möglichst viele Klicks? Werbung auf Blogs und Nachrichtenwebsites als Kontroversenstifter
15:30 – 16:00 Uhr
Kaffeepause
16:00 – 17:00 Uhr
David Kaldewey (Bonn)
Praktiken des Popularisierens in der Wissenschaftskommunikation: Vom Aufstieg und Fall des Factchecking
17:00 – 18:00 Uhr
Britt-Marie Schuster (Paderborn)
Die Popularisierung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus: Eine linguistische Längsschnittstudie zur deutschen Erinnerungskultur
19:00 Uhr
Abendessen
09:00 – 10:00 Uhr
Florian Heesch (Siegen)
„A Source of Controversy“: Doing Stardom in populärer Musik
10:00 – 11:00 Uhr
Franka Schäfer (Siegen)
Feldspezifische Axiologien im Spannungsfeld von Kunst und Kommerz: Praxistheoretische Perspektiven auf Bewertungspraxen und soziale Transformationsdynamiken am Beispiel der Populärkultur der Neuen Deutschen Welle
11:00 – 11:30 Uhr
Kaffeepause
11:30 – 12:30 Uhr
Corinna Norrick-Rühl (Münster)
Selling Popularity? Populäre Lesestoffe in Zeiten der Konzernliteratur
12:30 – 13:30 Uhr
Abschlussdiskussion
Moderation:
Stephan Habscheid, Katharina Knorr, Johannes Paßmann, Cornelius Schubert
Abstracts
Fabricating Popularity? Zur Ko-Produktion von Popularität in digitalen und KI-basierten Methoden
Digitale Methoden nutzen die Datenformate und Funktionalitäten digitaler Medien – etwa von Apps, Social-Media-Plattformen oder KI-Anwendungen – für die Forschung. Dabei verschränken sie die Logiken der Medien mit den epistemologischen und methodischen Herangehensweisen wissenschaftlicher Praxis. Der Vortrag geht der Frage nach, wie im Rahmen digitaler Methoden Popularität ko-produziert wird, welche Rolle Medien, Daten, Methoden und forschungspraktische Entscheidungen dabei spielen – und wie diese beteiligten Agenturen innerhalb der Methodenarbeit verhandelt werden.
In Anlehnung an das Konzept der Interface Methods wird vorgeschlagen, digitale Methoden als vermittelnde Praktiken zu begreifen: Sie navigieren zwischen den ihnen eingeschriebenen medialen Verfahren und den analytischen Perspektiven der Forschung – und machen produktive Friktionen zwischen beiden nutzbar.
Am Beispiel des Forschungsprojekts „Fabricating the People“ wird anhand von Social-Media-Corpora zu politischen Debatten in der Türkei untersucht, welche Akteure Popularität erzeugen, wie sie dies tun – und wie methodische Verfahren Popularität sichtbar machen, verstärken oder unterlaufen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Datenorganisation und -analyse. Hier zeigt sich, dass vor allem generative KI auf neue Weise in die Forschung eingreift, Bewertungshorizonte verschiebt und eigene Vorstellungen von Popularität implementiert.
Ziel des Vortrags ist es, für die Ko-Produktion von Popularität durch digitale Methoden, mediengenerierte Daten und algorithmische Bewertungen zu sensibilisieren – und diese im Sinne eines datafeministischen Zugangs zu situieren. Dabei wird Popularität nicht nur als messbare Größe, sondern als konflikthaftes, relationales Geschehen verstanden, das medien- wie methodenspezifisch erzeugt, verhandelt und problematisiert wird.
Die gute Form? (Un‑)Doing Popularity im Design
Geschmacksentscheidungen sind weder privat noch individuell. Selbst die Wahl der Sockenfarbe kann etwas über die soziale Position der Akteur:innen aussagen.
Diese höchst ausgefeilte Codierung des Geschmacks führt Pierre Bourdieu auf die klassenspezifischen „Wahrnehmungsschemata“ der Akteur:innen zurück: Das ästhetische Urteilsvermögen ist nicht angeboren, sondern bildet sich durch die praktische Interaktion mit den gesellschaftlichen Daseinsbedingungen aus.
Dass auch die konkrete Gestaltung des „Habitats“ zu diesen Daseinsbedingungen gehört, hat Bourdieu jedoch nicht weiter thematisiert. Das ist umso erstaunlicher, als die Geschmackserziehung im Designdiskurs seit jeher eine zentrale Rolle gespielt hat. Versuche, eine allgemeingültige „Gute Form“ (Max Bill) zu popularisieren, sind allerdings gescheitert. Das hat vor allem damit zu tun, dass der klassische Funktionalismus die Persistenz der inkorporierten Wahrnehmungsschemata unterschätzt hat.
Erst unter dem Vorzeichen einer neoliberalen Ästhetisierung (Reckwitz) und Digitalisierung hat das Design das „embodiment“ der Akteur:innen in den Blick genommen. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Technik und Körper oder digitaler und analoger Wahrnehmung.
Ausgehend von der soziologischen Praxistheorie skizziert der Vortrag den Zusammenhang von Wahrnehmung, Geschmack und Design, um diese gegenwärtigen Popularisierungstendenzen kritisch zu beleuchten.
Erfolg mit und ohne Popularität: Zur Praxeologie literarischer Quantität
Der Verkaufserfolg von Autor:innen ist Teil einer literarischen Praxis: Eine Fülle von Aktivitäten bezieht sich nach Maßgabe vieler unterschiedlicher (ästhetischer, moralischer, ökonomischer etc.) Normen in strukturierter Weise aufeinander. Die Menge an verkauften Büchern, der Umfang der Followerschaft oder die Zahl der Besucher bei literarischen Events wird dabei sehr unterschiedlich ‚gesehen‘: Wann und warum prägt Erfolg das Image einer publizierenden Person und wieso spielt er für die Wahrnehmung anderer Autor:innen eine allenfalls heimliche oder verschwiegene Rolle? Welchen Wert hat Erfolg für den Umgang mit Publikationen? Welche Anbahnungs- und Anschlusshandlungen stehen damit in Beziehung? Welche Qualität also hat Quantität? Ausgehend vom literarischen Strukturwandel der 1990er Jahre zieht der Vortrag eine Linie bis zum aktuellen Popularitätsphänomen „New Adult“, um die Spannungen im Verhältnis von „Leistung“ und „Erfolg“ aus praxeologischer Perspektive zu betrachten.
Bauchgefühl und Einschaltquote – Redaktionelle Entscheidungen unter Ungewissheit
Vor dem Hintergrund ethnografischer Feldforschung zu Fernsehnachrichten analysiert der Vortrag, wie Redaktionen Entscheidungen treffen. Deren Aufgabe ist, unter Zeitdruck und angesichts diffuser Informationslagen Entscheidungen zu treffen, die gravierende Folgen haben können. Dies lässt Absicherung zum Fluchtpunkt allen Handelns werden. Es handelt sich dabei um ein Redakteur:innen, die täglich an Fernsehnachrichten arbeiten, kennen dies nur zu gut. Weder die Themen noch ihr Publikum sind ihnen derart vertraut, dass sie mit Gewissheit entscheiden könnten, wie die aktuelle Sendung zu gestalten ist. Intensive ethnographische Forschung zeigt, wie dieses permanente Wagnis Redakteur:innen dazu aufruft, sich selbst und einander der Qualität ihrer Arbeit immer wieder zu versichern.
Der Vortrag analysiert, wie sie sich dabei auf ein professionell geschultes Bauchgefühl und routiniertes Erfahrungswissen genauso stützen, wie auf Social Media Trends und Einschaltquoten. Ob und welche ‚Indizien‘ als geeignet erscheinen, die jeweilige Entscheidung zu legitimieren, etwa einen Beitrag als relevant und interessant für ein Publikum zu qualifizieren, ergibt sich stets situativ im redaktionellen Miteinander. So wird deutlich, dass sich das Vertrauen in die eigene Arbeit nicht delegieren lässt, sondern jeden Tag aufs Neue gewonnen werden muss.
Referenzbilder: Gemeinsam „glaubhafte“ Filme gestalten
Digitale Visual Effects für Film und Fernsehen sollen aus Sicht ihrer Produzent:innen „glaubhaft“ erscheinen. Damit ist ein gestalterischer Horizont der Filmproduktion beschrieben: Die lokalen Sichtweisen im Produktionsstudio sind auf zukünftige Publika ausgerichtet. Mein Beitrag beschäftigt sich auf Grundlage ethnografischer Forschung mit der praktischen, arbeitsalltäglichen Umsetzung dieser Orientierung in Visual-Effects-Firmen. Dies geschieht sowohl in den individuellen Gestaltungspraktiken an spezialisierter und leistungsfähiger Soft- und Hardware, beim kollektiven Sichten und Besprechen der Entwürfe als auch in der soziotechnischen Organisation und Verknüpfung dieser arbeitsteiligen Praktiken. Deutlich werden die Schwierigkeiten der Ausrichtung auf abwesende Zuschauer:innen auch in der Suche, Herstellung und Besprechung von „Referenzbildern“: Durch Recherchepraktiken, insbesondere online, importieren Produzent:innen regelmäßig allgemein verfügbare Bilder und Videos in die Produktionsstätte. Im Projektteam dienen sie als Referenz für Gestaltung sowie als Anweisung. In den Praktiken der Suche, Nutzung und Besprechung geeigneter Referenzbilder lassen sich einerseits Publikumskonstruktionen digitaler Filmproduktion nachvollziehen. Andererseits werden auch die Grenzen ihrer Relevanz in der Praxis deutlich: Technische Bilder werden zwar importiert und einbezogen, jedoch – ihrem epistemischen Status der Referenzialität entsprechend – jeweils in Bezug auf den entstehenden Film, in dem sich Glaubhaftigkeit unterschiedlich ausformen kann. So bleibt die Gestaltung von Glaubhaftigkeit ein praktisches Unterfangen, das gemeinsam bewerkstelligt wird.
Influencing: Popularisierung als Business
Laut einer Umfrage des Bundesverbands Digitale Wirtschaft haben 41% der User:innen sozialer Medien, die wöchentlich Inhalte von Influencer:innen konsumieren, auch schon einmal dort gezeigte Marken und Produkte nachgekauft. Populär zu sein, ist die Grundlage für den Erfolg von Influencer:innen. Ihr gesamtes Business zielt darauf ab, sich und Produkten Sichtbarkeit zu verleihen.
Die Popularität von Influencer:innen lässt sich nicht nur in Klickzahlen und Follows messen, sie wird auch durch den Status von Influencer:innen als ‚Personen des öffentlichen Lebens‘ und durch ihren namensgebenden ‚Einfluss‘ deutlich. Mit der Etablierung des Berufsfelds Influencing entwickelten sich spezifische Praktiken, die Influencer:innen auf Social Media mehr Reichweite gewährleisten sollen, darunter das Pushen von Beiträgen, der Einsatz von Click-Bait, und jene, die User:innen zum Engagement animieren sollen. Nicht nur die Influencer:innen finden somit Beachtung, sondern auch die von ihnen beworbenen Produkte und damit einhergehende Praktiken.
In dem Vortrag wird es darum gehen, welche Praktiken beim Influencing mobilisiert werden und wie Influencer:innen über die Ansprache der Zuschauenden Produkte und (zugehörige) Praktiken populär machen. Davon ausgehend wird der Frage nachgegangen, was insbesondere bei jugendlichen User:innen Beachtung findet.
Dazu werden Videoanalysen und Gespräche unter Jugendlichen vorgestellt und aus medienlinguistischer Perspektive mit Fokus auf ein Doing Popularity (und einem kurzen Blick auf ein Doing Gender) im Influencing betrachtet.
Möglichst viele Klicks? Werbung auf Blogs und Nachrichtenwebsites als Kontroversenstifter
Online-Kommentare werden Anfang der 2000er-Jahre dafür gefeiert, dass sie den Vielen die Möglichkeit zur Partizipation und Mitsprache geben. Aber schon in den 2010er-Jahren wird diese Partizipation der Vielen zunehmend problematisiert: Kommentarfunktionen auf Blogs und Nachrichtenwebsites werden moderiert, nur für registrierte Nutzer:innen nutzbar gemacht oder ganz abgeschaltet.
Durch zählbare Klicks werden die Vielen im Web auch ökonomisch relevant: Die Einführung neuer Werbeerlösmodelle wie Google Ads macht populäre Blogs zu lukrativen Einnahmequellen. Auch Nachrichtenwebsites sehen sich mit dem neuen ökonomischen Erfolg von Blogs konfrontiert und passen teilweise ihre Praktiken an die des Blogging an. Dies führt dazu, dass die Selbstverständnisse des Blogging und des Journalismus neu ausgehandelt werden: Steht es im Widerspruch zum Qualitätsverständnis des Journalismus, Werbeanzeigen zu schalten? Gibt es alternative Finanzierungsmodelle, die nicht auf möglichst viele Klicks ausgerichtet sind? Und wie sehr verraten Blogger:innen ihre Community, wenn sie ihre Blogs zunehmend professionalisieren und auf die Beachtung möglichst Vieler ausrichten?
Werbung wird zum Kontroversenstifter für Transformationen des Populären. Der Vortrag zeichnet diese Entwicklungen und Kontroversen historisch nach, indem HTML-Analysen archivierter Websites mit Interviews mit Web-Akteuren kombiniert werden.
Praktiken des Popularisierens in der Wissenschaftskommunikation: Vom Aufstieg und Fall des Factchecking
Anfang Januar 2025, im Vorfeld der erneuten Amtseinführung von Donald Trump, kündigte Mark Zuckerberg das Ende des Fact-Checking auf den Meta-Plattformen an. Der Vortrag nimmt dieses Ereignis und den darin zum Ausdruck kommenden politischen Epochenwechsel zum Anlass, die Karriere, Popularisierung und Politisierung des Fact-Checking in der Wissenschaftskommunikation zu rekonstruieren. Untersucht werden Familienähnlichkeiten und Differenzen in den Praktiken des Popularisierens in der medialen, politischen und wissenschaftlichen Kommunikation. Ein besonderer Fokus liegt auf der Frage, ob sich bestimmte Formen einer populären „wir sind die Checker“-Wissen(schaft)skommunikation durch das Missverstehen der medialen und politischen Eigenlogik dieser Popularisierungspraktiken angreifbar gemacht haben.
Die Popularisierung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus: Eine linguistische Längsschnittstudie zur deutschen Erinnerungskultur
Die geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus ist erst mit den 1990er Jahren der Vielgestaltigkeit der Widerstandsgruppen, ihrer unterschiedlichen Artikulationsformen und politischen sowie soziokulturellen Traditionen gerecht geworden (so Wolfgang Benz). Mittlerweile liegen zudem unterschiedliche Veröffentlichungen zu den sprachlich-kommunikativen Praktiken der Widerstandskommunikation unterschiedlichster Netzwerke vor. Aus einer linguistisch-praxeologischen Perspektive ist der Stellenwert des Widerstands für die deutsche Erinnerungskultur nach 1945 noch nicht bearbeitet worden. Allerdings ist unverkennbar, dass das Gedenken an Widerstandsaktivitäten ebenso das Selbstverständnis der DDR wie das der Bundesrepublik geprägt hat und auch heute noch gepflegt wird.
Im Vortrag soll gezeigt werden, dass Praktiken der Erinnerungspflege und ihre Funktionen sich erheblich ausdifferenziert und transformiert haben. Neben staatlichen Gedenkritualen zu Jahrestagen sind eine Vielzahl von Bearbeitungen des Widerstandshandelns in Film, in fiktionalen und nicht-fiktionalen Gattungen oder in Musik getreten, so dass sich ein ähnliches „popkulturelles Archiv“ (Max Czollek) wie bei der Shoah auch für den Widerstand herausgebildet hat. Der Vortrag nutzt drei größere Korpora (1950–2025), die die vielleicht bekannteste Gruppe, „Weiße Rose“ zum Gegenstand haben: erstens eine Zusammenstellung von offiziellen Reden, deren Anlass das Gedenken ist, zweitens von populärwissenschaftlicher Biographik und drittens von Informationsbroschüren und Schulbuchtexten, flankierend werden andere Medien herangezogen. Diese Korpora wurden in einer Verflechtung von qualitativen und quantitativen Zugängen in Bezug auf sprachliche Praktiken des Referierens auf, des Positionierens zu und des Vergleichens mit den Widerstandsakteuren untersucht. Darüber hinaus werden damit eng zusammenhängende Praktiken wie das Graduieren thematisiert.
Es soll nachgewiesen werden, dass die Popularisierung sich u. a. daran zeigt, dass zunächst die Vorstellung der Einzigartigkeit der Widerstandsgruppe gegenüber einer von ‚Nazischergen‘ verführten Bevölkerung aufrechterhalten wird – Vertreter:innen der Weißen Rose sind bewundernswerte, der Normalität geradezu entrückte Personen. Die Popularisierung zeigt sich daran, dass sie zu Identifikationsfiguren, zu Symbolen für alle werden, die sich gegen gesellschaftliche Missstände in irgendeiner Form auflehnen.
„A Source of Controversy“: Doing Stardom in populärer Musik
Wenn die Popularität von Popmusik zum Problem wird, so liegt der Ausgangspunkt dafür häufig bei den Musikstars. Als beispielsweise die Musik von Elvis Presley in den USA der 1950er Jahre soziale Normen bezüglich race, class und gender erschütterte, war es weniger Elvis’ Gesang als seine Erscheinung im Fernsehen, die seinen Transgressionen vielfache Beachtung einbrachte: Durch das audiovisuelle TV-Medium wurde Elvis zum Star und damit „immediately a source of controversy“ (D. R. Shumway). Zu den Charakteristika des Startums gehören visuelle Inszenierung und Sichtbarkeit, aber auch eine große Gruppe von Fans, die eine Beziehung zu ihrem Star imaginieren. Für die Frage nach problematischer Popularität von Musik ist eine Auseinandersetzung mit Stars daher ebenso aufschlussreich wie notwendigerweise komplex, da hierbei diskursive Konfliktarenen im Zusammenspiel mit auditiven, visuellen und sozialen Aspekten zu berücksichtigen sind.
Dass eine Star-Persona immer wieder neu fabriziert werden muss, wird in Startum-Forschungen durch Begriffe wie „work of stardom“ betont (M. Orgeron; P. Macrossan). Während damit die ‚Arbeit‘ der Stars auch jenseits ihres genuinen Leistungsbereichs – hier: jenseits der Musik – in den Blick rückt, stellt sich die Frage, welche Rolle weitere Akteur:innen, wie Fans und Medienschaffende, bei der Fabrikation von Startum spielen. Ausgehend vom Konzept des „musicking“ (C. Small) diskutiert der Vortrag Musik-Startum als eine Leistung, die in sozialen Interaktionen unter Beteiligung aller involvierten Akteur:innen immer wieder neu hergestellt wird. In diesem Sinne lässt sich, in Analogie zum Begriff des „doing gender“ (C. West und D. H. Zimmerman), von „doing stardom“ sprechen. Um der Situiertheit sozialer Interaktionen Rechnung zu tragen, gilt es, solcherart konzipiertes Startum in seiner jeweils situationalen Komplexität und Ko-Konstitution zu interpretieren. Exemplifiziert wird dies im Vortrag anhand von Popstars wie u. a. Christina Aguilera, die als Interpret:innen von sentimentalen Balladen im SFB-Teilprojekt A04 erforscht werden. Im Mittelpunkt der konkreten Anwendung auf ausgewählte Fallbeispiele steht das Potenzial des Startums zur Kontroverse.
Feldspezifische Axiologien im Spannungsfeld von Kunst und Kommerz: Praxistheoretische Perspektiven auf Bewertungspraxen und soziale Transformationsdynamiken am Beispiel der Populärkultur der Neuen Deutschen Welle
Der Vortrag greift die zentrale Spannung von Praxisformen der Bewertung zwischen Kunst und Kommerz auf, die in der Popkultur der Neuen Deutschen Welle (NDW) der frühen 1980er Jahre prägnant zur Popularisierung spezifischer popmusikalischer Praxisformen zum Tragen kam. Ausgehend von poststrukturalistischen und neomaterialistisch ausgerichteten Praxistheorien wird die Praxis der Wahrnehmung des Populären als Ergebnis des Vollzugs ereignishafter Verkettung von Körper-Ding-Assoziationen gefasst und neben den Praxisdimensionen sozialisierter Körper, Artefakte, Diskurse und Symbolischen Formen insbesondere das Affektive in den Fokus gerückt, um die fluide Grenzregion der Bewertung von Kunst und Populärkultur am Beispiel der Hagener Feldspezifika zu diskutieren. Vor dem Hintergrund einer am Ereignisbegriff orientierten und diskurstheoretisch erweiterten praxistheoretischen Perspektive wird die Gleichzeitigkeit von Dynamik und Statik der Praxisformation des Populären als zentrales Charakteristikum der Popularisierung stark gemacht und Bewertungspraktiken zwischen Kunst und Kommerz in Relation zu den übrigen Praxisdimensionen der Neuen Deutschen Welle gesetzt.
Selling Popularity? Populäre Lesestoffe in Zeiten der Konzernliteratur
Wie werden Bücher im heutigen hochkonzentrierten Buchmarkt platziert, um die Aufmerksamkeit zerstreuter Konsument:innen zu gewinnen? Welche Titel werden ins Rampenlicht befördert – und welche nicht? Der Vortrag beschäftigt sich mit Beispielen aus dem anglophonen Literaturbetrieb, darunter populäre Lesestoffe und deren Sichtbarkeit und Verkäuflichkeit im 21. Jahrhundert. Diskutiert werden aus buchwissenschaftlicher Sicht u. a. der zunehmende Einfluss von nicht-literarischer Prominenz im Buchmarkt („celebrity book culture“) und die Bedeutung von Popularitätslogiken auf Plattformen wie dem Amazon-Ableger Goodreads, insbesondere dem dort ausgerufenen jährlichen „Goodreads Choice Award“.