Jahres­ta­gung 2025 – Doing Popu­la­rity

Jahrestagung

15. – 17. Oktober 2025
Universität Siegen
Obergraben 25
Raum US-S 002
57072 Siegen

Lageplan

Externe Gäste sind herz­lich will­kommen!
Für unsere Planung bitten wir um Anmel­dung bei Milena Loos (milena.loos@student.uni-siegen.de).

„Doing Popularity“ rückt die Produktions­weisen von Popu­larität in den Fokus der Auf­merk­sam­keit. Die Jahres­tagung lenkt den Blick auf die Prak­tiken der Beach­tungs­erzeu­gung und fragt, wie diese metho­disch und konzep­tuell erfasst werden können. Beach­tung von vielen ist eben nicht selbst­ver­ständ­lich gegeben. Viel­mehr muss sie konti­nuier­lich (re‑)produ­ziert, gehegt und gepflegt werden. Die Vertei­lung von Beach­tung mobili­siert Perso­nen und Dinge, Prak­tiken und Medien dabei in je feld­spezi­fischer Weise. Unter­schied­liche Felder bilden zudem eigene Asymme­trien, Axiolo­gien und Intensi­täten der Beach­tung aus. Die Produk­tion von Beach­tung ist somit immer eine Koproduk­tion verteil­ter und hetero­gener Instanzen. Nicht zuletzt bedeutet dies auch, dass „proble­mati­sierte Popu­larität“ ebenso das Produkt eines Produk­tions- und Aushand­lungs­prozesses ist, der durch konkrete Prak­tiken die Posi­tionen der Betei­ligten mani­festiert und (de‑)legiti­miert.
Die Beiträge der Jahres­tagung folgen diesen Über­legungen aus unter­schied­lichen praxeo­logischen Per­spek­tiven und in verschie­denen Feldern. So stehen die Auf­merk­sam­keits­modi digi­taler Medien durch Künst­liche Intelli­genz und Influen­cing, die Messung von Beach­tung durch Ein­schalt­quoten und Klick­zahlen oder litera­rische Popu­lari­täten im Zentrum. Weitere Vorträge widmen sich den Beach­tungs­prak­tiken in der popu­lären Musik, dem Film, dem Design, der Wissen­schafts­kommu­nika­tion und der Erinne­rungs­kultur. Sie alle fragen nach den „doings“ der Popu­laritäts­erzeu­gung und den metho­dischen Zugängen zu diesen Prak­tiken. Damit eröffnen Sie einen breiten Horizont an empiri­schen Fällen und theore­tischen Ansätzen und regen den SFB zur Dis­kussion und Zwischen­bilan­zierung seiner eigenen Forschungs­agenda an.

Programm

15.10.25

14:00 – 15:00 Uhr

Stephan Habscheid (Siegen), Katha­rina Knorr (Siegen), Johan­­nes Paß­­mann (Bochum) & Cor­­ne­­lius Schu­­bert (Dort­­mund)

Einfüh­rung:
Doing Popu­la­rity

15.10.25

15:00 – 16:00 Uhr

Caro­lin Gerlitz (Siegen)

Fabri­ca­ting Popu­la­rity? Zur Ko-Pro­­duk­tion von Popu­la­ri­tät in digi­­ta­len und KI-basier­ten Metho­­den

15.10.25

16:00 – 16:30 Uhr

Kaffee­pause

15.10.25

16:30 – 17:30 Uhr

Sophia Prinz (Zürich)

Die gute Form? (Un‑)Doing Popu­la­rity im Design

15.10.25

17:30 –19:00 Uhr

Keynote

Stef­fen Martus (Berlin)

Erfolg mit und ohne Popu­la­ri­tät: Zur Praxeo­lo­gie lite­ra­ri­­scher Quan­ti­tät

15.10.25

19:00 Uhr

Aben­d­es­sen

16.10.25

10:00 – 11:00 Uhr

Mirco Liefke (Berlin)

Bauch­ge­fühl und Ein­­schal­t­quote: Redak­tio­­nelle Ent­­schei­­dun­­gen unter Un­ge­wiss­heit

16.10.25

11:00 – 12:00 Uhr

Ronja Trisch­ler (Dort­­mund)

Refe­renz­bil­der: Gemein­­sam „glaub­hafte“ Filme gesta­l­ten

16.10.25

12:00 – 13:30 Uhr

Mittags­pause

16.10.25

13:30 – 14:30 Uhr

Anas­ta­sia-Patri­cia Och (Bochum)

Influ­encing: Popu­la­ri­sie­rung als Busi­ness

16.10.25

14:30 – 15:30 Uhr

Lisa Gerzen & Mika Scho­ries (Bochum)

Möglichst viele Klicks? Wer­­bung auf Blogs und Nach­rich­ten­we­b­­si­tes als Kontro­­ver­­­sen­­stif­ter

16.10.25

15:30 – 16:00 Uhr

Kaffee­pause

16.10.25

16:00 – 17:00 Uhr

David Kalde­wey (Bonn)

Prak­ti­ken des Popu­la­ri­­sie­rens in der Wissen­­schafts­­kom­mu­­ni­ka­tion: Vom Auf­­stieg und Fall des Fact­che­cking

16.10.25

17:00 – 18:00 Uhr

Britt-Marie Schus­ter (Pader­­born)

Die Popu­la­ri­­sie­rung des Wider­­stands gegen den Natio­na­l­­so­zia­­lis­mus: Eine lingu­is­ti­­sche Längs­­schnit­t­­stu­die zur deut­­schen Erin­ne­rungs­­­kul­tur

16.10.25

19:00 Uhr

Abend­es­sen

17.10.25

09:00 – 10:00 Uhr

Florian Heesch (Siegen)

„A Source of Contro­­versy“: Doing Star­­dom in popu­lä­rer Musik

17.10.25

10:00 – 11:00 Uhr

Franka Schä­fer (Siegen)

Feld­s­pe­zi­­fi­sche Axio­lo­gien im Span­­nungs­­­feld von Kunst und Kom­­merz: Praxis­­theo­re­ti­­sche Per­­spek­ti­ven auf Bewer­tungs­­pra­xen und sozi­ale Trans­­for­ma­ti­ons­­dy­na­­mi­ken am Bei­­spiel der Popu­lär­­kul­tur der Neuen Deut­­schen Welle

17.10.25

11:00 – 11:30 Uhr

Kaffee­pause

17.10.25

11:30 – 12:30 Uhr

Corinna Norrick-Rühl (Müns­ter)

Selling Popu­la­rity? Popu­läre Lese­­stoffe in Zeiten der Kon­­zern­­li­te­ra­tur

17.10.25

12:30 – 13:30 Uhr

Abschluss­dis­kus­sion

Mode­ra­tion:
Stephan Hab­­scheid, Katha­rina Knorr, Johan­­nes Paß­­mann, Corne­­lius Schu­­bert

Abstracts

Carolin Gerlitz

Fabricating Popularity? Zur Ko-Produktion von Popu­lari­tät in digi­talen und KI-basier­ten Metho­den

Digitale Methoden nutzen die Daten­formate und Funktio­nali­täten digi­taler Medien – etwa von Apps, Social-Media-Platt­formen oder KI-Anwen­dungen – für die Forschung. Dabei verschrän­ken sie die Logi­ken der Medien mit den episte­molo­gischen und metho­dischen Heran­gehens­weisen wissen­schaft­licher Praxis. Der Vortrag geht der Frage nach, wie im Rahmen digitaler Metho­den Popu­larität ko-produ­ziert wird, welche Rolle Medien, Daten, Methoden und forschungs­praktische Entschei­dungen dabei spielen – und wie diese betei­ligten Agenturen inner­halb der Metho­den­arbeit verhan­delt werden.
In Anlehnung an das Konzept der Inter­face Methods wird vorge­schlagen, digitale Methoden als vermit­telnde Praktiken zu begreifen: Sie navi­gieren zwischen den ihnen eingeschrie­benen medialen Verfahren und den analy­tischen Per­spek­tiven der Forschung – und machen produk­tive Frik­tionen zwischen beiden nutzbar.
Am Beispiel des Forschungs­projekts „Fabri­cating the People“ wird anhand von Social-Media-Corpora zu politi­schen Debatten in der Türkei unter­sucht, welche Akteure Popu­larität erzeugen, wie sie dies tun – und wie metho­dische Verfahren Popu­larität sichtbar machen, verstärken oder unter­laufen. Beson­deres Augen­merk liegt dabei auf dem Einsatz von Künst­licher Intelli­genz zur Daten­organi­sation und -analyse. Hier zeigt sich, dass vor allem gene­rative KI auf neue Weise in die Forschung eingreift, Bewertungs­horizonte verschiebt und eigene Vorstel­lungen von Popu­larität implemen­tiert.
Ziel des Vortrags ist es, für die Ko-Produk­tion von Popu­larität durch digi­tale Metho­den, medien­gene­rierte Daten und algo­rith­mische Bewer­tungen zu sensi­bili­sieren – und diese im Sinne eines data­feminis­tischen Zugangs zu situieren. Dabei wird Popu­larität nicht nur als messbare Größe, sondern als konflikt­haftes, relatio­nales Geschehen verstanden, das medien- wie methoden­spezifisch erzeugt, verhandelt und proble­matisiert wird.

Sophia Prinz

Die gute Form? (Un‑)Doing Popularity im Design

Geschmacks­entschei­dungen sind weder privat noch indivi­duell. Selbst die Wahl der Socken­farbe kann etwas über die soziale Posi­tion der Akteur:innen aussagen.
Diese höchst ausge­feilte Codie­rung des Geschmacks führt Pierre Bour­dieu auf die klassen­spezifi­schen „Wahr­nehmungs­schemata“ der Akteur:innen zurück: Das ästhe­tische Urteils­vermögen ist nicht ange­boren, sondern bildet sich durch die prak­tische Inter­aktion mit den gesell­schaft­lichen Daseins­bedin­gungen aus.
Dass auch die konkrete Gestal­tung des „Habitats“ zu diesen Daseins­bedin­gungen gehört, hat Bour­dieu jedoch nicht weiter thema­tisiert. Das ist umso erstaun­licher, als die Geschmacks­erziehung im Design­diskurs seit jeher eine zen­trale Rolle gespielt hat. Versuche, eine allge­mein­gültige „Gute Form“ (Max Bill) zu popu­lari­sieren, sind aller­dings gescheitert. Das hat vor allem damit zu tun, dass der klassi­sche Funk­tionalis­mus die Persis­tenz der inkor­porierten Wahr­nehmungs­schemata unter­schätzt hat.
Erst unter dem Vorzeichen einer neoli­beralen Ästheti­sierung (Reck­witz) und Digitali­sierung hat das Design das „embodiment“ der Akteur:innen in den Blick genommen. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Technik und Körper oder digitaler und analoger Wahr­nehmung.
Ausgehend von der sozio­logi­schen Praxis­theorie skizziert der Vortrag den Zusammen­hang von Wahr­nehmung, Geschmack und Design, um diese gegen­wärtigen Popu­larisie­rungs­tenden­zen kritisch zu beleuchten.

Steffen Martus

Erfolg mit und ohne Popu­lari­tät: Zur Praxeo­logie lite­rari­scher Quantität

Der Verkaufserfolg von Autor:innen ist Teil einer literari­schen Praxis: Eine Fülle von Aktivi­täten bezieht sich nach Maß­gabe vieler unter­schied­licher (ästhe­tischer, morali­scher, ökono­mischer etc.) Normen in struk­turier­ter Weise aufein­ander. Die Menge an ver­kauften Büchern, der Umfang der Follower­schaft oder die Zahl der Besucher bei lite­rari­schen Events wird dabei sehr unter­schied­lich ‚gesehen‘: Wann und warum prägt Erfolg das Image einer publi­zieren­den Person und wieso spielt er für die Wahr­nehmung anderer Autor:innen eine allen­falls heim­liche oder verschwie­gene Rolle? Welchen Wert hat Erfolg für den Umgang mit Publika­tionen? Welche Anbah­nungs- und Anschluss­hand­lungen stehen damit in Bezie­hung? Welche Qualität also hat Quan­tität? Ausgehend vom litera­rischen Struktur­wandel der 1990er Jahre zieht der Vortrag eine Linie bis zum aktuellen Popu­laritäts­phäno­men „New Adult“, um die Spannungen im Verhält­nis von „Leistung“ und „Erfolg“ aus praxeo­logischer Per­spek­tive zu betrachten.

Mirco Liefke

Bauchgefühl und Einschalt­quote – Redak­tionelle Entschei­dungen unter Unge­wiss­heit

Vor dem Hintergrund ethno­grafi­scher Feld­forschung zu Fernseh­nach­richten analy­siert der Vortrag, wie Redak­tionen Entschei­dungen treffen. Deren Aufgabe ist, unter Zeit­druck und angesichts diffuser Informa­tions­lagen Entschei­dungen zu treffen, die gravie­rende Folgen haben können. Dies lässt Absicherung zum Flucht­punkt allen Handelns werden. Es handelt sich dabei um ein Redak­teur:innen, die täglich an Fern­seh­nach­richten arbeiten, kennen dies nur zu gut. Weder die Themen noch ihr Publi­kum sind ihnen derart vertraut, dass sie mit Gewiss­heit entschei­den könnten, wie die aktuelle Sendung zu gestalten ist. Intensive ethno­graphi­sche Forschung zeigt, wie dieses perma­nente Wagnis Reda­kteur:innen dazu aufruft, sich selbst und einander der Qualität ihrer Arbeit immer wieder zu versichern.
Der Vortrag analysiert, wie sie sich dabei auf ein profes­sionell geschultes Bauch­gefühl und routi­niertes Erfah­rungs­wissen genauso stützen, wie auf Social Media Trends und Einschalt­quoten. Ob und welche ‚Indizien‘ als geeignet erscheinen, die jeweilige Entschei­dung zu legiti­mieren, etwa einen Beitrag als relevant und intere­ssant für ein Publi­kum zu qualifi­zieren, ergibt sich stets situativ im redak­tionel­len Mit­ein­ander. So wird deutlich, dass sich das Vertrauen in die eigene Arbeit nicht dele­gieren lässt, sondern jeden Tag aufs Neue gewonnen werden muss.

Ronja Trischler

Referenzbilder: Gemein­sam „glaub­hafte“ Filme gestal­ten

Digitale Visual Effects für Film und Fernsehen sollen aus Sicht ihrer Produ­zent:innen „glaubhaft“ erscheinen. Damit ist ein gestalte­rischer Horizont der Film­produk­tion beschrieben: Die loka­len Sicht­weisen im Produk­tions­studio sind auf zukünf­tige Publika ausge­richtet. Mein Beitrag beschäftigt sich auf Grund­lage ethno­grafi­scher Forschung mit der prakti­schen, arbeits­alltäg­lichen Umset­zung dieser Orien­tie­rung in Visual-Effects-Firmen. Dies geschieht sowohl in den indi­vidu­ellen Gestaltungs­prak­tiken an spezia­lisier­ter und leistungs­fähiger Soft- und Hard­ware, beim kollek­tiven Sichten und Besprechen der Entwürfe als auch in der sozio­techni­schen Organi­sation und Verknüp­fung dieser arbeits­teiligen Praktiken. Deutlich werden die Schwierig­keiten der Ausrich­tung auf abwesende Zuschauer:innen auch in der Suche, Herstel­lung und Besprechung von „Referenz­bildern“: Durch Recherche­prak­tiken, insbe­sondere online, impor­tieren Produ­zent:innen regel­mäßig allge­mein verfüg­bare Bilder und Videos in die Produk­tions­stätte. Im Projekt­team dienen sie als Referenz für Gestal­tung sowie als Anwei­sung. In den Prak­tiken der Suche, Nutzung und Bespre­chung geeig­neter Referenz­bilder lassen sich einer­seits Publikums­konstruk­tionen digitaler Film­produk­tion nach­voll­ziehen. Anderer­seits werden auch die Grenzen ihrer Rele­vanz in der Praxis deut­lich: Tech­nische Bilder werden zwar impor­tiert und einbe­zogen, jedoch – ihrem episte­mischen Status der Referen­ziali­tät entspre­chend – jeweils in Bezug auf den entste­henden Film, in dem sich Glaub­haftig­keit unter­schied­lich ausformen kann. So bleibt die Gestal­tung von Glaub­haftig­keit ein prak­tisches Unter­fangen, das gemein­sam bewerk­stelligt wird.

Anastasia-Patricia Och

Influencing: Populari­sierung als Busi­ness

Laut einer Umfrage des Bundes­ver­bands Digi­tale Wirt­schaft haben 41% der User:innen sozialer Medien, die wöchent­lich Inhalte von Influen­cer:innen konsu­mieren, auch schon einmal dort gezeigte Marken und Produkte nach­gekauft. Populär zu sein, ist die Grund­lage für den Erfolg von Influen­cer:innen. Ihr gesam­tes Busi­ness zielt darauf ab, sich und Produk­ten Sicht­bar­keit zu verlei­hen.
Die Popu­larität von Influen­cer:innen lässt sich nicht nur in Klick­zahlen und Follows messen, sie wird auch durch den Status von Influen­cer:innen als ‚Perso­nen des öffent­lichen Lebens‘ und durch ihren namens­geben­den ‚Einfluss‘ deutlich. Mit der Etablie­rung des Berufs­felds Influen­cing entwi­ckelten sich spezi­fische Praktiken, die Influen­cer:innen auf Social Media mehr Reich­weite gewähr­leisten sollen, darunter das Pushen von Beiträ­gen, der Einsatz von Click-Bait, und jene, die User:innen zum Engage­ment animieren sollen. Nicht nur die Influen­cer:innen finden somit Beach­tung, sondern auch die von ihnen bewor­benen Produkte und damit einher­gehende Prak­tiken.
In dem Vortrag wird es darum gehen, welche Prak­tiken beim Influen­cing mobili­siert werden und wie Influen­cer:innen über die Ansprache der Zuschau­enden Produkte und (zugehörige) Prak­tiken populär machen. Davon aus­gehend wird der Frage nach­gegangen, was insbe­sondere bei jugend­lichen User:innen Beach­tung findet.
Dazu werden Video­analysen und Gespräche unter Jugend­lichen vor­gestellt und aus medien­linguis­tischer Perspek­tive mit Fokus auf ein Doing Popu­larity (und einem kurzen Blick auf ein Doing Gender) im Influen­cing betrachtet.

Lisa Gerzen & Mika Schories

Möglichst viele Klicks? Werbung auf Blogs und Nach­richten­web­sites als Kontro­versen­stifter

Online-Kommentare werden Anfang der 2000er-Jahre dafür gefeiert, dass sie den Vielen die Möglich­keit zur Parti­zipa­tion und Mit­sprache geben. Aber schon in den 2010er-Jahren wird diese Parti­zipa­tion der Vielen zuneh­mend proble­mati­siert: Kommentar­funk­tionen auf Blogs und Nach­richten­web­sites werden mode­riert, nur für regis­trierte Nutzer:innen nutzbar gemacht oder ganz abge­schaltet.
Durch zähl­bare Klicks werden die Vielen im Web auch ökono­misch relevant: Die Einfüh­rung neuer Werbe­erlös­modelle wie Google Ads macht popu­läre Blogs zu lukra­tiven Einnahme­quellen. Auch Nach­richten­websites sehen sich mit dem neuen ökono­mischen Erfolg von Blogs konfron­tiert und passen teil­weise ihre Prak­tiken an die des Blogging an. Dies führt dazu, dass die Selbst­verständ­nisse des Blogging und des Jour­nalis­mus neu ausge­handelt werden: Steht es im Wider­spruch zum Quali­täts­verständ­nis des Jour­nalis­mus, Werbe­anzei­gen zu schalten? Gibt es alter­native Finanzie­rungs­modelle, die nicht auf mög­lichst viele Klicks ausge­richtet sind? Und wie sehr verraten Blogger:innen ihre Comm­unity, wenn sie ihre Blogs zuneh­mend professio­nali­sieren und auf die Beach­tung mög­lichst Vieler aus­richten?
Werbung wird zum Kontro­versen­stifter für Trans­forma­tionen des Popu­lären. Der Vortrag zeichnet diese Entwick­lungen und Kontro­versen histo­risch nach, indem HTML-Analysen archi­vierter Websites mit Inter­views mit Web-Akteuren kom­biniert werden.

David Kaldewey

Praktiken des Popu­larisie­rens in der Wissen­schafts­kommu­nika­tion: Vom Auf­stieg und Fall des Fact­checking

Anfang Januar 2025, im Vorfeld der erneuten Amts­ein­füh­rung von Donald Trump, kündigte Mark Zucker­berg das Ende des Fact-Checking auf den Meta-Platt­formen an. Der Vortrag nimmt dieses Ereignis und den darin zum Aus­druck kommenden politi­schen Epochen­wechsel zum Anlass, die Karriere, Popu­larisie­rung und Politi­sierung des Fact-Checking in der Wissen­schafts­kommu­nika­tion zu rekon­struie­ren. Unter­sucht werden Familien­ähnlich­keiten und Diffe­renzen in den Prak­tiken des Popu­larisie­rens in der medialen, politi­schen und wissen­schaft­lichen Kommu­nika­tion. Ein beson­derer Fokus liegt auf der Frage, ob sich bestimmte Formen einer popu­lären „wir sind die Checker“-Wissen(schaft)skommu­nika­tion durch das Miss­verste­hen der medialen und politi­schen Eigen­logik dieser Popu­larisie­rungs­prak­tiken angreif­bar gemacht haben.

Britt-Marie Schuster

Die Populari­sierung des Wider­stands gegen den National­sozia­lismus: Eine linguis­tische Längs­schnitt­studie zur deut­schen Erinne­rungs­kultur

Die geschichtswissen­schaft­liche Auf­arbei­tung des Wider­stands gegen den National­sozia­lismus ist erst mit den 1990er Jahren der Viel­gestal­tig­keit der Wider­stands­gruppen, ihrer unter­schied­lichen Arti­kula­tions­formen und politi­schen sowie sozio­kultu­rellen Tradi­tionen gerecht geworden (so Wolfgang Benz). Mittler­weile liegen zudem unter­schied­liche Veröffent­lichungen zu den sprach­lich-kommu­nika­tiven Prak­tiken der Wider­stands­kommu­nika­tion unter­schied­lichster Netz­werke vor. Aus einer lingu­istisch-praxeo­logischen Perspek­tive ist der Stellen­wert des Wider­stands für die deutsche Erinne­rungs­kultur nach 1945 noch nicht bear­beitet worden. Aller­dings ist unver­kenn­bar, dass das Geden­ken an Wider­stands­aktivi­täten ebenso das Selbst­ver­ständnis der DDR wie das der Bundes­republik geprägt hat und auch heute noch gepflegt wird.
Im Vortrag soll gezeigt werden, dass Prak­tiken der Erinne­rungs­pflege und ihre Funk­tionen sich erheb­lich ausdiffe­renziert und trans­formiert haben. Neben staat­lichen Gedenk­ritualen zu Jahres­tagen sind eine Viel­zahl von Bearbei­tungen des Wider­stands­handelns in Film, in fiktio­nalen und nicht-fiktio­nalen Gattungen oder in Musik getreten, so dass sich ein ähnliches „pop­kultu­relles Archiv“ (Max Czollek) wie bei der Shoah auch für den Wider­stand heraus­gebildet hat. Der Vortrag nutzt drei größere Korpora (1950–2025), die die viel­leicht bekann­teste Gruppe, „Weiße Rose“ zum Gegen­stand haben: erstens eine Zusammen­stellung von offi­ziellen Reden, deren Anlass das Gedenken ist, zweitens von populär­wissen­schaft­licher Biographik und drittens von Informa­tions­broschü­ren und Schul­buch­texten, flankie­rend werden andere Medien heran­gezogen. Diese Korpora wurden in einer Verflech­tung von qualita­tiven und quantita­tiven Zugängen in Bezug auf sprach­liche Prak­tiken des Refe­rierens auf, des Positio­nierens zu und des Verglei­chens mit den Wider­stands­akteuren unter­sucht. Darüber hinaus werden damit eng zusammen­hängende Prak­tiken wie das Gradu­ieren thema­tisiert.
Es soll nach­gewiesen werden, dass die Popu­larisie­rung sich u. a. daran zeigt, dass zunächst die Vorstellung der Einzig­artig­keit der Wider­stands­gruppe gegen­über einer von ‚Nazi­schergen‘ verführ­ten Bevöl­kerung auf­recht­erhalten wird – Vertre­ter:innen der Weißen Rose sind bewun­derns­werte, der Norma­lität geradezu entrückte Perso­nen. Die Popu­larisie­rung zeigt sich daran, dass sie zu Identi­fika­tions­figuren, zu Sym­bolen für alle werden, die sich gegen gesell­schaft­liche Miss­stände in irgend­einer Form auflehnen.

Florian Heesch

„A Source of Controversy“: Doing Stardom in popu­lärer Musik

Wenn die Popularität von Popmusik zum Problem wird, so liegt der Ausgangs­punkt dafür häufig bei den Musik­stars. Als beispiels­weise die Musik von Elvis Presley in den USA der 1950er Jahre soziale Normen bezüg­lich race, class und gender erschüt­terte, war es weniger Elvis’ Gesang als seine Erschei­nung im Fern­sehen, die seinen Trans­gressio­nen viel­fache Beach­tung einbrachte: Durch das audio­visuelle TV-Medium wurde Elvis zum Star und damit „imme­diately a source of contro­versy“ (D. R. Shumway). Zu den Charak­teris­tika des Startums gehören visuelle Insze­nierung und Sicht­barkeit, aber auch eine große Gruppe von Fans, die eine Bezie­hung zu ihrem Star imagi­nieren. Für die Frage nach proble­mati­scher Popu­larität von Musik ist eine Ausein­ander­setzung mit Stars daher ebenso auf­schluss­reich wie not­wendiger­weise komplex, da hierbei diskur­sive Konflikt­arenen im Zusammen­spiel mit audi­tiven, visu­ellen und sozialen Aspekten zu berück­sichti­gen sind.
Dass eine Star-Persona immer wieder neu fabri­ziert werden muss, wird in Startum-Forschungen durch Begriffe wie „work of stardom“ betont (M. Orgeron; P. Macrossan). Während damit die ‚Arbeit‘ der Stars auch jenseits ihres genuinen Leis­tungs­bereichs – hier: jenseits der Musik – in den Blick rückt, stellt sich die Frage, welche Rolle weitere Akteur:innen, wie Fans und Medien­schaffende, bei der Fabri­kation von Startum spielen. Ausgehend vom Konzept des „musicking“ (C. Small) disku­tiert der Vortrag Musik-Startum als eine Leis­tung, die in sozialen Inter­aktio­nen unter Beteili­gung aller invol­vierten Akteur:innen immer wieder neu hergestellt wird. In diesem Sinne lässt sich, in Analogie zum Begriff des „doing gender“ (C. West und D. H. Zimmerman), von „doing stardom“ sprechen. Um der Situier­theit sozialer Inter­aktio­nen Rech­nung zu tragen, gilt es, solcher­art konzi­piertes Startum in seiner jeweils situa­tiona­len Kom­plexität und Ko-Konstitu­tion zu inter­pretie­ren. Exem­plifi­ziert wird dies im Vortrag anhand von Popstars wie u. a. Chris­tina Agui­lera, die als Inter­pret:innen von senti­men­talen Balladen im SFB-Teil­projekt A04 erforscht werden. Im Mittel­punkt der konkreten Anwen­dung auf aus­gewählte Fall­beispiele steht das Poten­zial des Startums zur Kontro­verse.

Franka Schäfer

Feldspezifische Axio­logien im Spannungs­feld von Kunst und Kommerz: Praxis­theore­tische Per­spek­tiven auf Bewer­tungs­praxen und soziale Trans­forma­tions­dyna­miken am Bei­spiel der Populär­kultur der Neuen Deutschen Welle

Der Vortrag greift die zentrale Spannung von Praxis­formen der Bewer­tung zwischen Kunst und Kommerz auf, die in der Pop­kultur der Neuen Deutschen Welle (NDW) der frühen 1980er Jahre präg­nant zur Popu­larisie­rung spezi­fischer pop­musika­lischer Praxis­formen zum Tragen kam. Ausge­hend von post­struktu­ralisti­schen und neo­materia­listisch aus­gerich­teten Praxis­theorien wird die Praxis der Wahr­nehmung des Popu­lären als Ergebnis des Voll­zugs ereignis­hafter Verket­tung von Körper-Ding-Asso­ziatio­nen gefasst und neben den Praxis­dimen­sionen sozia­lisier­ter Körper, Arte­fakte, Diskurse und Symbo­lischen Formen insbe­son­dere das Affek­tive in den Fokus gerückt, um die fluide Grenz­region der Bewer­tung von Kunst und Populär­kultur am Beispiel der Hagener Feld­spezi­fika zu disku­tieren. Vor dem Hinter­grund einer am Ereignis­begriff orien­tierten und diskurs­theore­tisch erwei­terten praxis­theore­tischen Per­spektive wird die Gleich­zeitig­keit von Dyna­mik und Statik der Praxis­forma­tion des Popu­lären als zen­trales Charak­teris­tikum der Popu­larisie­rung stark gemacht und Bewer­tungs­prakti­ken zwischen Kunst und Kommerz in Rela­tion zu den übrigen Praxis­dimen­sionen der Neuen Deutschen Welle gesetzt.

Corinna Norrick-Rühl

Selling Popularity? Populäre Lese­stoffe in Zeiten der Konzern­literatur

Wie werden Bücher im heutigen hoch­konzen­trierten Buch­markt platziert, um die Auf­merk­sam­keit zer­streu­ter Konsu­ment:innen zu gewinnen? Welche Titel werden ins Rampen­licht beför­dert – und welche nicht? Der Vortrag beschäftigt sich mit Bei­spielen aus dem anglo­phonen Lite­ratur­betrieb, darunter popu­läre Lese­stoffe und deren Sicht­bar­keit und Verkäuf­lich­keit im 21. Jahr­hundert. Disku­tiert werden aus buch­wissen­schaft­licher Sicht u. a. der zuneh­mende Einfluss von nicht-litera­rischer Promi­nenz im Buch­markt („celebrity book culture“) und die Bedeu­tung von Popu­laritäts­logi­ken auf Platt­formen wie dem Amazon-Ableger Good­reads, insbe­sondere dem dort ausgeru­fenen jähr­lichen „Goodreads Choice Award“.