Trans­for­ma­tion medi­zi­ni­scher Wissens­hi­er­a­r­chien? Ärzt:in-Pati­ent:in-Bezie­hun­gen in Zeiten zuneh­men­der Digi­ta­li­sie­rung und Popu­la­ri­sie­rung

Inhalt

Technische Geräte, mit denen sich unterschiedlichste Körperdaten messen lassen, werden, wie Verkaufszahlen zeigen, immer populärer. Dies kann einerseits als ein Indiz für eine weitere Verbreitung und Durchsetzung biomedizinischer Logiken und damit für eine sich ausdehnende professionelle Dominanz und Medikalisierung gelten. Andererseits hat die Quantified-Self-Forschung in den letzten zehn Jahren gezeigt, dass diese Daten immer auch epistemisch prekär, d. h. relativ unscharf und hochgradig interpretationsbedürftig sind. In Zeiten zunehmender Datenverarbeitung und -sharing kann die Nutzung dieser Geräte daher auch als potenzielle Herausforderung für medizinisches Fachwissen gesehen werden. Obwohl diese Tracker (z. B. die Apple Watch oder das Fitbit) keine Medizinprodukte sind, scheinen die von ihnen generierten Zahlen und Daten und ihre automatische Auswertung vermeintlich mit dem Fachwissen medizinischen Personals konkurrieren zu können oder zumindest relevante Daten bereit zu stellen. Gleichzeitig gilt die Asymmetrie zwischen Ärzt:innen und Patient:innen im Gesundheitsweisen trotz potenziell vereinfachter Zugänge zu Gesundheitsinformationen immer noch als weitgehend stabil. Inwiefern die Objektivierung subjektiver Körperempfindungen durch patient:innengenerierte Daten und herstellerspezifische Scores (Body Battery, Sleep Score, Stress Level) die Wissenshierarchie zwischen Ärzt:innen und Patient:innen in Frage stellt, gilt es also empirisch zu beantworten.

Basierend auf Interviews mit Patient:innen sowie Ärzt:innen (überwiegend aus/in Deutschland), welche im Rahmen des Forschungsprojekts „Digitales Körperwissen. Konfliktlinien problematischer Popularität im Gesundheitswesen“ (Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs 1472 „Transformationen des Populären“) durchgeführt wurden, zielt unser Vortrag auf die Beantwortung folgender Fragen: Inwiefern transformiert die digital(isiert)e Erhebung von Körperdaten durch Patient:innen (bzw. deren Devices) ärztliche Expertise? Wie behandeln Ärzt:innen die von ihren Patient:innen mitgebrachten Daten? Und wie können – oder müssen – wir Lai:innen- und Expert:innenwissen in der Medizin zukünftig definieren bzw. voneinander abgrenzen? Die Präsentation wird aufzeigen, was passiert, wenn die Dyade aus Ärzt:in und Patient:in, also Expert:in und Lai:in, zur Triade wird. Wir wollen mikrosoziologisch nachzeichnen, ob und, wenn ja, wie die Asymmetrie zwischen Ärzt:innen und Patient:innen durch die Digitalisierung und damit Liberalisierung der Generierung von Körperdaten und damit Körperwissen tangiert wird. Dabei stehen die ärztlichen Praktiken der Resilienz, Resistenz und Akkomodation gegenüber patient:innengenerierten Daten im Vordergrund.