Alli­anz der Krit­zel-Künst­ler (Teil 1): Wissen­schafts-Orga­ni­sa­ti­o­nen im Erklär­vi­deo-Format

Blog
17.01.22
  • Julika Griem

[Dieser Beitrag in der Reihe „Populäre Expertise“ erscheint parallel auf dem KWI-Blog und auf dem Blog des SFB 1472 „Transformationen des Populären“.]

I. Popularisierung als Professionalisierung

Am 10.12.2021 merkte Bettina Stark-Watzinger in einem Interview mit der FAZ an, man dürfe Wissenschaftler „nicht mit Aufgaben überlasten“ und müsse daher Wissenschaftskommunikation „professionalisieren“: „Ideal wäre es, wenn ein Institut über eigenes Personal für die Wissenschaftskommunikation verfügt“.1 Der politisch geforderte Kulturwandel in Sachen Wissenschaftskommunikation kann tatsächlich nur durch Anreize erreicht werden, die es erfordern, externe kommunikative Expertise in das Wissenschaftssystem zu integrieren: Kurzfristig durch die Beschäftigung von Personal, das Erfahrungen aus Marketing-Agenturen, PR-Abteilungen und der Kreativ-Industrie zuliefert; längerfristig durch neue Studienprogramme, Denominationen und Karrierewege, um das Fachwissen nachhaltiger in den Wissenschaftsorganisationen zu verankern. Auch hier wird die jeweilige Ressourcen-Ausstattung darüber entscheiden, wer sich wann welche Verstärkung wird leisten können – Stark-Watzingers Formulierung „jedes Institut“ markiert ein Ideal, dem Max-Planck-Institute vermutlich näher kommen als ein kleines Fachinstitut an einer unterfinanzierten Universität.

In seinen Auftakt-Beiträgen zur Reihe „Populäre Expertise“ hat Niels Werber einige Aporien der flächendeckenden Forderung nach inkludierender und involvierender Wissenschaftskommunikation herausgearbeitet: Popularität und Reputation sind nicht in jeder Hinsicht harmonisch zu verbinden; die „Beachtung vieler“ deckt sich nicht automatisch mit einer „Beachtlichkeit“ unter wenigen; „gute Vermittlung“ und „die Vermittlung des Guten“ sind aufgrund der unterschiedlichen Systemlogiken von Wissenschaft und Medien gerade nicht leicht auf einen Nenner zu bringen.2 Professionalisierung wird angesichts dieser Dilemmata als ein Heilmittel angepriesen, das die Symptome allenfalls abmildert: Es wird viel Kulturwandel brauchen und damit lange dauern, bis neue Professionalisierungs-Kriterien die Grenzen zwischen gewachsenen Funktionssystemen durchlässiger machen.

Genau diese Motivation treibt indessen einen Teil jener Kommunikations-Expert*innen an, die im Dienst wissenschaftlicher Einrichtungen deren kommunikative Performanz verbessern sollen. Zu ihren Werkzeugen gehört seit einigen Jahren auch das Format des Erklärvideos, mit dem zunächst vor allem Unternehmen Produkte und Dienstleistungen beworben haben. Solche maximal dreiminütigen Filme zeichnen sich durch „Storytelling“ und eine „Multisensorik“ aus, die sich z.B. als Lege- oder Whiteboard-Technik realisieren kann. Ihr dramaturgisches Repertoire umfasst animierte Bildsequenzen, Musik, Texte und einen gesprochenen voice-over; die konzeptionelle Gestaltung ist auf ein Schema ausgerichtet, das Problemdarstellung und Problemlösung narrativisiert und mit einer persönlich adressierten Handlungsanweisung, einem „call to action“, verbindet.3 Mit der zunehmenden Verbreitung von Erklärvideos im Bildungswesen und der Wissenschaft haben sich auch hier Variationen herausgebildet: Manche dieser Kurzfilme inszenieren eine corporate culture; manche mobilisieren für spezifischere purposes wie compliance oder diversity; andere legen, im Modus eines „how-to-do“, den Fokus auf die Illustration spezifischer Angebote und Maßnahmen; wieder andere werden zur Rekrutierung eingesetzt. Wie sich diese unterschiedlichen Zwecke verbinden – oder auch im Weg stehen können – und mit welchen Mitteln sie erreicht werden sollen, kann im Folgenden ein kleines Korpus veranschaulichen, das ich aus den Erklärvideos der Einrichtungen der „Allianz der Wissenschaftsorganisationen“ zusammengestellt habe.4

II. Popularisierung und Personalisierung

Erklärvideos greifen in der Regel auf personalisierte Rollenträger zurück. Während die filmische Kurzvorstellung des Allianz-Mitglieds Leopoldina noch reale Personen wie Gerald Haug auftreten lässt, bedienen sich die zeitgemäß gestalteten Videos anonymisierter fiktiver Figuren, die auf nicht-realistische Weise spezifiziert werden. Auf diese Weise stehen den ‚gescribbelten‘ Videos mehr Möglichkeiten zur Verfügung, Wirklichkeiten aus der Perspektive eines normativ Gewünschten zu formatieren. Grundsätzlich kann die Personalisierung auf der Ebene der erzählten Geschichte und ihrer Vermittlung, also der gezeigten und der kommentierenden Figuren erfolgen: In zwei Videos des DAAD erläutern z.B. eine männliche und eine weibliche Stimme im Off die Bewerbung um ein Stipendium sowie den Auswahlprozess, und mögliche Interessierte werden dabei einmal duzend und einmal siezend direkt angesprochen. Nur männliche voice-over-Stimmen finden wir in den Kurzfilmen der Helmholtz-Gemeinschaft,5 der Fraunhofer-Gesellschaft6 und der Max-Planck-Gesellschaft. Bei Helmholtz präsentiert man sich als selbstbewusstes „Wir“, appelliert mit dem Symbol eines muskulösen Männerarms an das Durchhaltevermögen interessierter Forschender und unterstreicht die Reputation der Organisation mit real existierenden Gewährsleuten – zwei Männern und einer Frau. Bei Fraunhofer wird ein „Du“ angesprochen, das sich für eine wissenschaftliche Karriere interessiert und dabei auf flexible Arbeitszeiten und die work life balance achtet. Die gezeichneten Figuren, als Stellvertreter*innen der Adressierten, sind hier nur schwer als Männer oder Frauen zu identifizieren; in der Schlussszene sehen wir eine abstrahierte Figur, die für verschiedene Geschlechter stehen kann. Bei Max Planck wird ebenfalls beherzt geduzt, um junge Forschende zu gewinnen. In diesem Erklärvideo verläuft die gezeichnete Animation so schnell, dass man Schwierigkeiten hat, die vielen kleinen Comic-Figuren zu identifizieren: Im Verlauf der Stationen-Reise, in der eine traditionelle Ikonographie von Grenzüberschreitung und Welteroberung im Schnelldurchlauf abgespult wird, sind zunächst mehr Männer zu erkennen, die aber kontinuierlich durch Frauen ergänzt und abschließend von einer fackeltragenden weiblichen Allegorie der Aufklärung durch Wissenschaft angeführt werden.

Während die genannten Organisationen Aspekte der Selbstdarstellung und Rekrutierung kompakt verbinden, finden wir bei der DFG – neben einer Selbstdarstellung anhand von 12 Schlagworten – auch Erklärfilme, die noch keine einheitliche Handschrift verbindet. In Videos zur Erläuterung des Antragsverfahrens sowie des Instruments der Sonderforschungsbereiche haben sich die Produzent*innen offenbar an den Standards orientiert, die auch für den mittlerweile vom Netz genommen BMBF-Film zum WissenschaftsZeitVertragsgesetz7 Pate standen: Im Zentrum agieren jeweils sehr jung wirkende Frauen, die Namen wie Paula oder Elena tragen und in ihren exemplarisch komprimierten Werdegängen in der Mehrzahl von weiblichen Kommentarstimmen begleitet werden. Bei der DFG achtet man akribisch auf symmetrisch verteilte Geschlechterverhältnisse, so z.B. bei den gezeigten Gutachtenden und dem Fachkollegium im Erklärfilm zum Antragsweg, in dem „Dr. Elena Fuchs“ die Identifikationsfigur darstellt.8 Besonders stark fallen die normativ korrigierten Geschlechterverhältnisse im Video zum 50. Geburtstag des SFB-Programms auf: Der Film beginnt mit einer Animation, die Forschende vor einer psychedelisch gemusterten Tapete im Jahr 1968 zeigt. In dieser historisierenden Simulation sehen wir zeittypisch kostümierte, aber, eher untypisch für das Jahr 1968, perfekt austarierte Paare aus jungen männlichen und weiblichen Forschenden, die die Geburtsstunde des neuen Förderinstruments illustrieren. Solche anachronistischen Rückprojektionen kennzeichnen viele Erklärvideos, die auch die Geschichte der jeweiligen Institution skizzieren. Ihre „story“ marschiert jeweils auf das Telos einer Erfolgsgeschichte zu, in der sich die präsentierte Institution und die hervorgehobene Person auf der narrativen Kurzreise so zusammenfinden, dass sich auch heutige Zuschauer*innen ‚mitgenommen‘ fühlen.

Mit Blick auf die Personalisierungs-Strategien gibt es einen Ausreißer, der im noch stärker männerdominierten Segment der außeruniversitären und mehrheitlich angewandten Forschung angesiedelt ist. Bei der Leibniz-Gemeinschaft finden wir ein Video, das mit der Wahl der Protagonistin „Laura“ zunächst dem Hanna-Paula-Elena-Schema zu folgen scheint: Auch hier erkennen wir eine prototypisch verjüngte Heldin, nun auf dem Königsweg zu einem erfolgreichen ERC-Antrag. Anders als in den bisher erwähnten Filmen steht hier nicht die nur sparsam platzierte Institution, sondern die forschende Person im Zentrum. Laura erkämpft sich, mit Hilfe einer offensiveren Bildsprache, die u.a. an die Robert Crumb-Comics erinnert, als junge Mutter den ERC-Pokal; ihre Heldinnen-Reise zeigt sie zunächst als „Captain Laura“ im Astronauten-Anzug, dann an einem von Baby-Spielzeug eingerahmten Schreibtisch. Das Leibniz-Video betont, dass forschende Frauen mit List und Durchhaltevermögen operieren müssen, und spart dabei auf humoristische Weise Pannen und mögliche Niederlagen nicht aus: Wir sehen Laura vom Einschlafen bedroht, fast von einem niederstürzenden Klavier erschlagen und anschließend mit einem Regenschirm à la Mary Poppins dennoch aufsteigen. Das Image der Leibniz-Gemeinschaft wird in dieser schließlich ebenfalls heroisch aufgelösten Kurzgeschichte nur als Kaffee-Becher mit einer „I Love Leibniz“-Aufschrift evoziert, und die Typographie der Credits ist heiter beweglich gehalten. Als Vorgesetzten zeigt uns dieser Film zwar noch einen Mann, aber die weibliche Protagonistin steuert zielsicher auf die Professur als Belohnung für die Mühen von „Captain Laura“ zu. Anders als ihre aus dem Off ‚besprochenen‘ Kolleginnen Hanna, Paula und Elena erzielt Laura diesen Etappensieg mit einer eigenen Erzählstimme in britischem Englisch.

Wie sich aber auch die Leibniz-Heldin auf ein Repertoire vereinfachter Dingsymbole verlassen kann, und wie sich die Adressierung und empirische Rezeption von Erklärfilmen im Dienst der Wissenschaft überhaupt erfassen ließe, wird im zweiten Teil dieses Beitrags vertieft.

Julika Griem ist Professorin für Anglistische Literaturwissenschaft und seit April 2018 Direktorin des KWI.

Anmerkungen

1 Vgl. https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/bildungsministerin-stark-watzinger-ueber-digitalisierung-an-schulen-17678492.html. Letzter Zugriff: 13.01.2022.
2 Vgl. Niels Werbers Beiträge in dieser Reihe: https://blog.kulturwissenschaften.de/forschung-zwischen-popularitat-und-reputation/ sowie https://blog.kulturwissenschaften.de/forschung-zwischen-popularitat-und-reputation-2/. Letzter Zugriff: 13.01.2022.
3 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Erklärvideo. Zum Format der Erklärvideos liegt bisher noch so gut wie keine medien- und kulturwissenschaftliche Forschung vor. Bisher dominieren kommerziell motivierte Anleitungen zur Herstellung und systemimmanente Erläuterungen guter Absichten und positiver Erfolgschancen. Auch Forschungsprojekte z.B. in den Erziehungswissenschaften oder den Fachdidaktiken gehen in der Regel davon aus, dass Erklärfilme sinnvolle Instrumente darstellen, und widmen sich vorrangig der Kalibrierung ihres Einsatzes.
4 Zur Allianz: https://www.dfg.de/dfg_profil/allianz/index.html. Die Anregung, genauer auf die Erklärvideos zu schauen, verdanke ich auch Siegener Kolleg*innen: https://sfb1472.uni-siegen.de/publikationen/das-ist-paula-anmerkungen-zu-zwei-erklaerfilmen-von-institutionen-der-deutschen-wissenschaftsfoerderung. Letzter Zugriff: 13.01.2022.
5 https://www.helmholtz.de/ueber-uns/wer-wir-sind/presse-medien/mediathek/video/. Letzter Zugriff: 13.01.2022.
6 https://www.youtube.com/watch?v=duP8BQmjDxc. Letzter Zugriff: 13.01.2022.
7 Hanna heißt beim BMBF nicht nur die junge Biologin im weißen Kittel im umstrittenen Film (https://www.youtube.com/watch?v=PIq5GlY4h4E), sondern auch die Protagonistin eines Erklärvideos zum Thema „Kultur macht stark“: https://www.youtube.com/watch?v=Gs8zhutm2Pc. Letzter Zugriff: 13.01.2022.
8 https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=VJYekd6B7CA. Letzter Zugriff: 13.01.2022.

SUGGESTED CITATION: Griem, Julika: Allianz der Kritzel-Künstler (Teil 1). Wissenschafts-Organisationen im Erklärvideo-Format, in: KWI-BLOG, [https://blog.kulturwissenschaften.de/allianz-der-kritzel-kunstler-teil-1/], 17.01.2022

DOI: https://doi.org/10.37189/kwi-blog/20220117-0830