Dürfen Ritter in der neomediävalen Fantasy scheitern? - The Green Knight (2022)
Das Genre der Fantasy mit ausgeprägtem neomediävalem (vgl. Velten 2018, S. 14), also einem mittelalterlich anmutenden Setting, erfreut sich spätestens seit Tolkiens Herr der Ringe großer Beliebtheit. Die Vorfreude darauf, dass im Sommer 2021 endlich ein neuer Fantasystreifen über die durch Corona verwaisten Kinoleinwände flimmert, dürfte daher groß gewesen sein. Der Film The Green Knight (2021) von Regisseur David Lowery bezeichnet sich zu Beginn selbst als „eine filmische Adaption der Ritterromanze von einem Unbekannten“ (4,23-4,29 Min). Gemeint ist die mittelenglische Erzählung "Sir Gawain and the Green Knight" aus dem späten 14. Jahrhundert (vgl. Simek 2012, S. 313-314). Dass der Film – zumindest auf den ersten Blick – nicht verschiedene mittelalterliche Erzählungen rund um den sagenhaften König Artus und seine Tafelrunde miteinander verbindet, sondern eine konkrete Erzählung zur Vorlage wählt, ist durchaus bemerkenswert. Denn häufig werden die verschiedenen Quellen der arthurischen Stofftradition eher diffus als Inspirationsquelle verwandt und ihre Bezugnahme wird nicht eigens ausgestellt.
I.
Das Feuilleton besprach den Film überwiegend lobend: „Eine Queste wie diese hat es noch nie gegeben, und das will etwas heißen bei einem der ehrwürdigsten Genres, dem Film mit Schwerter und Kettenhemd“ (Rebhandel 2021, S. 16). Im Unterschied zu anderen Artus-Tafelrunden-Filmen erscheine The Green Knight ausgefallen und extravagant (vgl. Seng 2021, S. 40). Kathleen Hildebrand von der Süddeutschen Zeitung freute sich über einen „wirklich grandiosen Film“, der ein „gerade noch mainstreamtauglicher Kunstfilm“ sei, aber mit den visuellen Eindrücken eines großen Fantasyfilms aufwarten könne (Hildebrand 2021, S. 11). Die Feuilletons der Hochkultur attestieren The Green Knight demnach einen Sonderstatus. Gelobt werden neben der spektakulären visuellen Inszenierung die Offenheit und Polyvalenz des Arthouse-Films.
Attribute wie ‚grandios‘ oder ‚extravagant‘ fallen allerdings durch ihre erstaunliche Inhaltsleere auf. Es scheint, als fehle es dem Feuilleton an den Begrifflichkeiten, um Fantasy zu analysieren und zu loben. Stattdessen widmen sich einige der Besprechungen vergleichsweise ausführlich der Verhandlung des Kunstcharakters und ordnen den Film in das Ouevre und die Ästhetik des Studios A24 ein. Zwischen den Zeilen wird also die Stellung von The Green Knight zwischen ‚high‘ und ‚low‘ verhandelt: Während das Genre Fantasy per se nicht der Hochkultur zugeordnet wird, wird The Green Knight neben der genretypischen Bildgewalt und Schaulust doch eine hochkulturelle Ausgefallenheit und Mehrdeutigkeit attestiert, die den Fantasyfilm aus Sicht der Rezensent:innen offenbar auch für die hochkulturellen Feuilletonleser:innen satisfaktionsfähig macht. Wer sich nach solchen Empfehlungen gut unterhalten lässt, der amüsiert sich zumindest nicht unter seinem Niveau.
Abseits der Feuilletons ändert sich dieser recht euphorische Eindruck bald. Die Plattformen filmstarts.de (vgl. filmstarts.de: Userkritiken zu The Green Knight) und moviepilot.de (vgl. moviepilot.de: Kritiken zu The Green Knight), auf denen Zuschauer:innen die Filme mit der Vergabe von Sternen oder Punkten bewerten und kommentieren können, fällen ein eher mittelmäßiges Urteil. Hier gibt es 3,0 von 5,0 Sternen (bei verhältnismäßig wenigen, nämlich 63 Bewertungen), dort werden The Green Knight im Schnitt 6,4 von 10 Punkten zugestanden (bei 215 Bewertungen).
Die unterstellte enge Orientierung an der Erzählung wird von vielen Zuschauer:innen problematisiert. Der Handlungsgang sei kaum ersichtlich (Eugen Maier auf filmstarts.de) und „ohne Vorwissen zu den Rittern der Tafelrunde“ nicht zu verstehen (valeska_mignon auf moviepilot.de). Während das Setting des Films und seine spektakuläre visuelle Inszenierung – ähnlich wie im Feuilleton – durchweg gelobt werden, wird die mangelnde Stringenz der Handlung für viele Bewerter:innen zum Problem. RoboMaus fasst die Kritik an der Verständlichkeit der Handlung als typisches Problem eines Style-over-Substance-Films zusammen (vgl. RoboMaus auf moviepilot.de).
Die von den Zuschauer:innen insbesondere auf Ebene der Handlung identifizierten Missstände werden dabei interessanterweise als ein Problem des Hochkulturellen markiert: „The Green Knight ist ein Ritterkino für Intellektuelle und Kunstgenießer, für Museumsbesucher und Minnesang-Afficinados“ (filmgenuss.com bzw. Michael Grünwald auf filmstarts.de). Oder: „[A]ls würde Regisseur David Lowery dir zwei Stunden lang bedeutungsschwanger ‚Ich habe ein Seminar über Symbolik in mittelenglischer Literatur besucht und du nicht‘ ins Ohr flüstern“ (Simbod auf moviepilot.de). Talaron bringt es wie folgt auf den Punkt: „eindeutig ein Film für Kritiker“ und vergibt 3 Sterne (auf filmstarts.de).
The Green Knight offenbart auch mit Blick auf die Zuschauer:innen-Foren die Spannungen, die entstehen, wenn sich ein Independent-Studio mit künstlerischem Anspruch einem populären Genre wie der neomediävalen Fantasy widmet.
II.
Die Bewertungen von The Green Knight offenbaren nicht nur etwas über den Film, sondern lassen auch Rückschlüsse auf den Status des Fantasygenres zu. Denn was sich in den negativen Bewertungen je unterschiedlich deutlich artikuliert, ist vor allem eine Erwartungshaltung an den Fantasyfilm, die viele von The Green Knight nicht erfüllt sehen: „Verdammt, dabei hatte ich so einen Bock auf ein Fantasy Ritterepos. So eins mit Schwert und Lanzen. Einer Burg. Furchtlose Ritter in ihren glänzenden Rüstungen. Paar Fabelwesen wären auch total gerne genommen worden. Alles son Zeug. Aber ne“ (Hardcoremodus auf moviepilot.de, vergibt keine Bewertung).
David Lowery präsentiert mit Gawain nicht den glänzenden, unerschrockenen Ritter, der der Beste aus Artus’ Tafelrunde ist. Vielmehr wird der Protagonist als spätpubertärer junger Mann eingeführt, der sich die Zeit mit Alkohol und Prostituierten vertreibt. Als sein Onkel Artus ihn am Weihnachtsfest – typisch für die Erwartungen an Artus und seine Tafelrunde – nach einer Geschichte seiner âventiuren fragt, hat Gawain nichts zu berichten; „noch nicht“, wie Ginover ergänzt. Kurz darauf taucht der geheimnisvolle, riesenhafte Grüne Ritter am Hof auf. In der mittelenglischen Erzählung macht er folgenden Vorschlag, den der Film fast exakt übernimmt:
„Wenn sich jemand hier für so mutig hält, […] daß er es wagt, mir mit voller Kraft einen Schlag zu versetzen unter der Bedingung, einen Gegenschlag zu empfangen, so werde ich ihm diese hervorragende Streitaxt zur Verfügung stellen […] und ich werde den ersten Schlag unbewaffnet, wie ich hier sitze entgegennehmen […], vorausgesetzt, du [Artus] gewährst mir das sichere Recht, ihm, wenn ich oben bin, einen anderen Schlag zurückzugeben; ich räume ihm jedoch eine Frist von zwölf Monaten und einem Tag ein“ (V. 284-296).
In Sir Gawain and the Green Knight offenbart sich die Bedeutung dieses Auftritts – wie häufig, wenn Fremde mit seltsamen Wünschen am Artushof aufschlagen – erst später. Der Grüne Ritter gesteht, dass Morgan le Fay ihn mittels ihrer zauberischen Fähigkeiten an den Hof geschickt habe, um dessen Tugend auf die Probe zu stellen und um ihre Intimfeindin Ginover, Artus’ Gattin, zu erschrecken (vgl. V. 2446-2460). Die magische Urheberschaft Morgans le Fay wird bei Lowery direkt mit dem Auftreten des Grünen Ritters offenkundig. Kontinuierlich wird die Szenerie der Tafelrunde und das Auftauchen des riesenhaften Ritters mit einer Szene überblendet, die Morgan mit ihren Zofen um eine Art Hexenzirkel sitzend und mit Zähnen, Knochen und eingeritzten Runen hantierend zeigt .
Gawains Mutter zaubert bei Lowery für ihren Sohn gewissermaßen genau rechtzeitig eine Queste herbei, die den jungen Mann zu einem angesehenen Ritter und möglichen Nachfolger für den im Film greisen Artus machen soll. Gawains Mutter stellt für den Sohn kurz vor dessen Aufbruch vom Artushof außerdem den grünen Zaubergürtel her, der seine gesunde Rückkehr sichern soll. Aus der Tugendprobe des Artushofs, die dessen vollkommenster Ritter Gawain in der mittelalterlichen Erzählung stellvertretend wahrnimmt, wird der Versuch einer coming-of-age-Queste. Das mittelalterliche Erzählschema der Queste wird zu einer individualisierten Charakterschule für den spätpubertären Gawain transformiert.
Nachdem der Schlag durch Gawain ausgeführt wurde und der enthauptete Ritter auf wundersame Weise seinen Kopf unter den Arm nimmt und davonreitet, konzentriert die mittelenglische Erzählung all ihre Energie auf den Gegenschlag und dessen Vorbereitung. Dass Gawain auf der Suche nach der Grünen Kapelle allerhand andere Begegnungen und Kämpfe bestreiten muss, wird nur angedeutet: „So viele wundersame Abenteuer erlebt der Held, dort in den Bergen, daß es unmöglich wäre, auch nur den zehnten Teil davon zu erzählen“ (V. 718-719).
The Green Knight hingegen fügt Gawains Queste – die Suche nach der klar definierten Herausforderung – eine âventiure-Kette hinzu. Im Unterschied zur Queste zeichnet sich die âventiure durch ihre Kontingenz aus. Der Held mag zwar ein Ziel oder eine bestimmte Absicht auf seinem Weg haben, doch auf was oder wen er trifft, bleibt allein dem Zufall überlassen. In die Kette an Abenteuern sind zahlreiche bekannte âventiure-Motive und Figuren der Artusepik hineinmontiert: der Kampf gegen Räuber (ähnlich wie im Erec), ein Fuchs als Begleiter Gawains (ähnlich wie die Tierbegleiter etwa im Iwein oder im Gauriel von Muntabel, deren Protagonisten jeweils Gesellschaft von einem Löwen und einem Bock erhalten), die Legende der Heiligen Winifred sowie die Dame vom See (etwa im Lanzelet).
Doch im Gegensatz zu den mittelalterlichen Artusrittern, deren Erzählungen hier zu einer Art Flickenteppich (vgl. Eco 1986, S. 61-72) verbunden werden, tut sich Gawain mit seinen âventiuren schwer, oft scheitert er. Obwohl auch die Artusritter meist in einem krisenhaften Zustand auf âventiure ausreiten, um so ihr Ansehen wiederherzustellen oder zu steigern, bewältigen sie ihre âventiure-Begegnungen doch fast ausnahmslos erfolgreich. Ganz anders Gawain in The Green Knight: Kaum losgeritten wird er von einer Räuberbande in einen Hinterhalt gelockt. Der Überfallene verleugnet aus Angst um die eigene Haut sein (angestrebtes) Ritterdasein. Passiv und um Schonung flehend kann sich Gawain gegen die Outlaws nicht zur Wehr setzen. Als „Ritterlein“ verspottet muss er gefesselt zusehen, wie seine Habe mitsamt Pferd, Axt und Zaubergürtel gestohlen wird. Gänzlich unritterlich muss der junge Gawain nach dieser ersten Niederlage seinen Weg zu Fuß fortsetzen. Allein in Begleitung eines Fuchses schlägt er sich durch den Wald, schläft in Höhlen und ernährt sich von wild wachsenden Pilzen.
Auch in seiner nächsten âventiure kann Gawain nicht glänzen. Zwar taucht er in einem See erfolgreich nach dem Schädel der Heiligen Winifred, worum diese ihn in einer geisterhaften Erscheinung gebeten hatte. Gawains Frage nach einer Gegenleistung zeigt jedoch, dass er die typische Aufgabe der mittelalterlichen Ritter, tugendhaft für die Sache der Armen und Schwachen einzustehen, nicht verinnerlicht hat. Es mangelt dem Protagonisten an einem ritterlichen Verhaltenskodex.
Gawains anschließender Aufenthalt bei einem Burgherrn und dessen Dame ist von einem Tauschgeschäft bestimmt. Der Burgherr verspricht, Gawain seine Jagdbeute zum Geschenk zu machen, wenn dieser am Ende eines jeden Tages das mit ihm tausche, was er auf der Burg währenddessen ‚erbeutet‘ habe. Wie in der mittelenglischen Erzählung werden die erotischen Annäherungsversuche der Burgherrin für Gawain zur echten Probe. „[D]ennoch schafft es der sich in einer Zwickmühle befindende Ritter [in der Erzählung], die Dame nicht unritterlich abzuweisen, sich ihr aber bis auf die Küsse körperlich nicht weiter zu nähern“ (Mangard 2021, S. 169). Darüber hinaus bietet die Dame dem mittelalterlichen Gawain einen Gürtel an, der sein Leben schützen soll. Denn mit Blick auf das bevorstehende Zusammentreffen mit dem Grünen Ritter ist dieser in Sorge um sein Überleben. Er nimmt das Angebot kurzerhand an. Während Gawain die Küsse als Beute mit dem Burgherrn Bertilak de Hautdesert austauscht, verschweigt er hingegen den Erhalt des Gürtels und verlässt die Burg.
David Lowerys Gawain erhält von der Burgdame den grünen Gürtel zurück (wie sie in dessen Besitz gekommen ist und ob die Gürtel tatsächlich identisch sind, bleibt unklar). Hier ist die Erotik jedoch deutlich explizierter, denn in einem doppeldeutigen Dialog, dessen Kern der mehrmals wiederholte Satz „Ich will es!“ ist, kann man nicht mehr unterscheiden, ob es nun um den angebotenen Gürtel oder die körperliche Vereinigung mit der Burgherrin geht. Als Gawain schließlich den Gürtel in Händen hält, beschimpft die Burgherrin ihn, er sei kein Ritter – ob das an der Annahme des Gürtels oder der im Eifer der Unterhaltung offenbar erfolgten Ejakulation liegt, bleibt wohl der Interpretation der Zuschauer:innen überlassen.
Panisch verlässt Gawain die Burg und verschweigt dem Herrn wie in der Vorlage den Erhalt des Gürtels. Wenngleich auch der Gawain der mittelenglischen Erzählung bei der Aussicht auf einen magischen Schutzgürtel einknickt, weiß er abgesehen davon doch, wie er sich angemessen verhält. Der spätpubertäre Gawain des Fantasyfilms erscheint sozial wie sexuell in jeder Hinsicht ungelenk und überfordert. Auch hier kann er nicht durch ritterliche Taten oder Verhaltensweisen – durch höfische zûht – brillieren.
Als wäre Gawain nicht schon zögerlich genug, führt ihn kurz vor dem Zusammentreffen mit dem Grünen Ritter auch noch sein plötzlich sprechender Begleiter, der Fuchs, in Versuchung: „Würde ein Mann ihn [den Grünen Ritter] wirklich kennen, er nähme die Schande vor ihm fortzulaufen glücklich auf sich. Er tauschte leichten Herzens das Streben nach Ehren ein gegen ein langes Leben. Sein Geheimnis wäre bei mir sicher. Bist Du dieser Mann?“ (1:38,07-1:38,28). Gawain verneint und der Tierbegleiter mahnt weiter: „Der Zauber, den Du um den Leib trägst, verrät das Gegenteil. […] Komm nach Hause!“ (1:38,31-1:38,50). Doch dieses eine Mal beweist Gawain Überzeugung, widersteht der Versuchung und nimmt den finalen Weg zur Grünen Kapelle auf sich. Dort angekommen setzt der Grüne Ritter drei Mal zum Gegenschlag an. Zwei Mal zuckt Gawain zurück und bereitet sich jeweils erneut auf den Schlag vor. Beim dritten Mal nimmt der Protagonist dann doch Reißaus.
Auch der Held in Sir Gawain and The Green Knight zuckt zunächst vor dem erwarteten Schlag zurück, wird aber durch den dritten, tatsächlichen Schlag dann nur leicht mit einem Schnitt am Nacken verletzt. Der Grüne Ritter, der sich hier als Burgherr Bertilak zu erkennen gibt, spricht Gawain vom Vorwurf der Feigheit und Schuld frei, die dieser in der Annahme des Gürtels und des in dieser Hinsicht nicht eingehaltenen Tauschvertrags offenbart sieht: „Du bist durch dein Bekenntnis ganz von deinen Missetaten gereinigt und hast offen gesühnt vor der scharfen Klinge meiner Waffe. Ich betrachte dich als gesäubert von dieser Schuld […]. Und ich gebe Dir, Herr, den goldumsäumten Gürtel; da er grün ist wie mein Gewand, Herr Gawain, könnt Ihr Euch an diesen Kampf hier erinnern, wenn Ihr, von hier fort, unter edlen Fürsten weilt, und er wird ein gutes Zeichen des Ereignisses sein an der Grünen Kapelle für alle höfischen Ritter sein.“ (V. 2393-2399). So kommt es: Nachdem Gawain am Hof das Geschehene berichtet hat, spricht auch Artus ihn von aller Schande frei und das grüne Band wird fortan zum Erkennungs- und Erinnerungszeichen der Tafelrunde.
Im Gegensatz zur Vorlage flieht Gawain in The Green Knight jedoch ohne den Schlag letztlich erhalten zu haben. Die Geschehnisse seiner Queste werden für den Rückkehrer vorerst nicht zum Thema. Gleichwohl entwickelt sich der Griff nach der arthurischen Macht für Gawain zum Desaster. Zwar wird er nach Artus’ Tod gekrönt. Den Sohn, den er mit der Prosituierten Esse bekommt, nimmt er der Mutter zunächst kaltblütig weg, bevor der Junge später in einer kriegerischen Auseinandersetzung zu Tode kommt. Seine Heirat mit einer anderen Frau, die der Heiligen Winifred auffällig ähnelt, bleibt eine Randnotiz. Zum Schluss kann Gawain, der den grünen Gürtel seit den Begebenheiten an der Grünen Kapelle niemals ablegte, Camelot nicht mehr gegen Angreifer verteidigen.
Von einem freudigen Hofleben, das in der mittelalterlichen Literatur das Signum eines funktionierenden Hofes ist, ist keine Spur mehr. Für den mittlerweile erwachsen gewordenen Protagonisten gilt, was der Gawain der Vorlage ausspricht: „Denn der Mensch kann sein Vergehen verbergen, aber er kann es nicht ungeschehen machen“ (V. 2511-2512). Demnach ist es nur folgerichtig, dass David Lowery für eine der letzten Einstellungen den einsam auf seinem Thron sitzenden Gawain wählt. Verlassen von allen und gescheitert in allem zieht sich der ‚Held‘ den Gürtel von seiner Taille. Auf seinem Nacken erscheint zunächst ein roter Strich, bevor kurz darauf der Kopf Gawains von dessen Schultern rollt .
Ganz so fatalistisch entlässt der Film die Zuschauer:innen aber nicht. In der letzten Einstellung kehrt er plötzlich wieder in die Axthiebszene zurück. Dieses Mal erklärt sich Gawain tatsächlich bereit, bevor der endgültige Schnitt (nicht der Axt) folgt. Dieser Kunstgriff lässt das, was sich zwischen den beiden Szenen in der Grünen Kapelle abspielt, als eine alternative Wirklichkeit erscheinen. Sie führt dem noch unentschlossenen Gawain womöglich vor Augen, dass sein Handeln Konsequenzen für ihn und seine Mitmenschen hat – wohl eine typische Botschaft des Erwachsenwerdens.
Ob diese Botschaft auf fruchtbaren Boden fällt und welche Auswirkungen sie für Gawain zeitigt, bleibt der Vorstellungskraft der Zuschauer:innen überlassen. Doch in The Green Knight scheitert Gawain, der auch in der Populärkultur als einer von Artus‘ strahlendsten Rittern bekannt ist, grandios: sowohl daran ein tugendhafter Ritter zu sein, wie auch daran Verantwortung für sein Tun zu übernehmen.
III.
Obwohl der Film viele Erwartungen des Genres der neomediävalen Fantasy erfüllt (Queste, Artusstoffkreis, Ritter, Schwerter und Äxte, Hexen und Zauber sowie außerweltliche Antagonisten), kann und will er doch eine Erwartung offenbar nicht bedienen: die an einen ritterlichen Protagonisten, der sich zum tugendhaften, neomediävalen Helden mit hehren Grundsätzen entwickelt. Darüber hinaus handle es sich, so Cpt.Tremors auf moviepilot.de, um „keine Massentaugliche [sic!] Schwertkampf-Fantasy“.
Und so liegt meiner Einschätzung nach ein Grund für die verhaltene Reaktion der Fantasyfans – in Foren wie auch an Kinokassen (vgl. Insidekino.com: Jahrescharts D u. USA 2021) – auch im verweigerten Bild vom tjostierenden, ehrenvollen Ritter in glänzender Rüstung. Daran vermag auch der Kunstgriff am Ende nichts zu ändern. Vermutlich würden es die meisten Zuschauer:innen und Kritiker:innen in den genannten Foren daher mit freigaenger halten: „kann man gern schauen, es sei denn man erwartet einen typischen Ritterfilm à la Excalibur oder King Arthur“ (freigaenger auf moviepilot.de).
Literatur
Primärliteratur/-quellen
Malory, Thomas: Le morte Darthur. 2 Bde. Hrsg. v. William Caxton, A. W. Pollard und Edward Strachey. Charlottesville 1996.
David Lowery/A24-Studio: The Green Knight (2021).
filmstarts.de: Userkritiken zu The Green Knight (2021). URL: https://www.filmstarts.de/kritiken/269316/userkritiken/ (letzter Abruf: 01.06.2022).
Insidekino.com: Jahrescharts D 2021. URL: http://insidekino.com/DJahr/D2021.htm (letzter Abruf: 01.06.2022).
Insidekino.com: Jahrescharts USA 2021. URL: insidekino.com/USAJahr/USA2021.htm (letzter Abruf: 01.06.2022).
moviepilot.de: Kritiken zu The Green Knight (2021). URL: https://www.moviepilot.de/movies/green-knight/kritik (letzter Abruf: 01.06.2022).
Hildebrand, Kathleen: Unter Rittern. In: Süddeutsche Zeitung v. 03.08.2021, S. 11.
Rebhandel, Bert: Eine Welt, so fremd wie ein Kettenhemd. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 29.07.2021, S. 16.
Seng, Martin: Nicht den Kopf verlieren. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 25.07.2021, S. 40.
Sir Gawain and the Green Knight. deutsch/englisch. Hrsg. u. übers. v. Manfred Markus. Stuttgart 1974.
Forschungsliteratur
Eco, Umberto: Dreaming of the Middle Ages. In: Travels in Hyperreality. London 1986, S. 61-72.
Mangard, Désirée: Der Gürtel als Marker für Normbrüche. In: Jenseits der ausgetretenen Pfade: Normüberschreitungen in der höfischen Epik vom späten 12. bis zum frühen 14. Jahrhundert. Hrsg. v. ders. u. Miriam Strieder. Innsbruck 2021, S. 159-178.
Simek, Rudolf: Art. „Frau vom See“. In: Artus-Lexikon. Mythos und Geschichte, Werke und Personen der europäischen Artusdichtung. Hrsg. v. dems. Stuttgart 2012, S. 119.
Simek, Rudolf: Art. „Sir Gawain and the Green Knight“. In: Artus-Lexikon. Mythos und Geschichte, Werke und Personen der europäischen Artusdichtung. Hrsg. v. dems. Stuttgart 2012, S. 313-314.
Velten, Hans Rudolf: Das populäre Mittelalter im Fantasyroman. Erkundungen eines zeitgenössischen Phänomens. In: Die Literatur des Mittelalters im Fantasyroman. Hrsg. v. Nathanael Busch und Hans Rufolg Velten. Heidelberg 2018, S. 9-20.