One Show to rule them all. Wie man die Popu­la­ri­tät von 'The Rings of Power' schon vor Seri­en­start auf die Spitze treibt (2022)

Mit geschätzten Kosten von weitaus mehr als einer Milliarde Dollar für die angekündigten fünf Staffeln der Amazon-Original-Serie The Rings of Power (Release-Datum am 2. September 2022) könnte diese die teuerste Serie aller Zeiten werden. Eine Information, die im Internet vielfach geteilt und nur selten belegt wird. Es scheint offenbar niemanden zu wundern, dass eine Erzählung, die in Mittelerde spielt, vermutlich alle Superlative sprengen wird.

Allein die Lizenz zur Verfilmung kostete Amazon 250 Millionen Dollar, immerhin fast ein Viertel der anfänglich geschätzten Produktionskosten. Eine so kostenaufwändige Produktion ist keine Hürde für den Amazon-Chef Jeff Bezos, der bekanntermaßen einer der reichsten Männer der Welt ist. Bezos soll selbst eine persönliche Vorliebe für die Welt Tolkiens hegen. Ob nun aber die Liebe zum Herrn der Ringe oder aber das eigene Prestige, eine Serie zu produzieren, über die die ganze Welt spricht, ausschlaggebend für diese aufwändige Produktion war, sei einmal dahingestellt (Bezos bezeichnete das Projekt wohl als sein „Baby“, das „kosten dürfe, was es wolle“.

Erste Einblicke in die aufwändige Produktion zeigt der während des diesjährigen Super Bowls am 14. Februar erstmalig ausgestrahlte Teaser Trailer. Bereits am nächsten Tag lautet die Schlagzeile auf der offiziellen Serien-Website: „Prime Video’s The Lord of the Rings: The Rings of Power Teaser Trailer Breaks 24-Hour Viewing Record For Most Watched Super Bowl Trailer of All-Time“. Dass dieser Superlativ nur innerhalb der Kategorie Entertainment-Trailer, also Film, Fernsehen und Streaming, verwendet werden kann, erfährt die Nutzer:in allerdings erst während der aufmerksamen Lektüre des Artikels. Auch die Information, dass diese Auszeichnung nur für Entertainment-Trailer gültig ist, die innerhalb des Super Bowls ihre Premiere gefeiert haben, verschluckt der Superlativ im Titel.

Inhaltlich verrät der Trailer wenig, lediglich, dass die Serie im Zeitalter vor dem Herrn der Ringe angesiedelt ist. Der Trailer zeigt Nahaufnahmen einiger Figuren und einzelne blitzlichtartige Sequenzen, die nur erahnen lassen, wie groß das Serienuniversum von Mittelerde sein wird. Prime Video scheint in der Bewerbung seines Produkts zunächst vollkommen auf die immense Popularität des Herr der Ringe-Kosmos und die Kraft der Zahlen zu setzen, und entsprechend fällt auch die Resonanz aus. „It is our very first small little taste of many many things to come” heißt es bei der offiziellen Watchparty des Youtube-Channels The Tolkien Nerd, ein Video, das den einminütigen Teaser-Trailer in Spielfilm-Länge diskutiert. Dieser Channel verzeichnet immerhin fast 650.000 Abonnent:innen.

Diese Diskussion ist nur ein Beispiel dafür, dass die Strategie von Prime Video aufgegangen ist: Eine Minute dramaturgisch geschickt inszenierter Momentaufnahmen überzeugt von dem immensen Reichtum an Ort, Figur und dramaturgisch abgestimmter Szenerie – und davon, dass ihr Budget immens ist. Von vielen Rezipient:innen wird dies als Qualitätsmerkmal gewertet. Es handelt sich um einen Fall von Popularisierung zweiter Ordnung. Popularisierungen zweiter Ordnung, wie sie im Siegener Sonderforschungsbereich „Transformationen des Populären“ verstanden wird, zeichnen sich dadurch aus, dass sie einem bereits beachteten Gegenstand durch das Ausstellen seines quantitativ messbaren Erfolges noch mehr Beachtung verschaffen. Die Popularität des Objekts wird gewissermaßen für dessen weitere Popularisierung brauchbar gemacht. Eine Überschrift wie „Prime Video’s The Lord of the Rings: The Rings of Power Teaser Trailer Breaks 24-Hour Viewing Record For Most Watched Super Bowl Trailer of All-Time“ macht genau dies und steht damit für eine Popularisierung zweiter Ordnung par excellence (Vgl. zum Begriffsverständnis des SFBs: Döring et. al. 2021).

Erste inhaltliche Einblicke (sog. sneak peeks) in die Serie gewährte Amazon ausgewählten Personen Ende April in Form eines 20-minütigen Filmmaterials. Damit sollten Fans von der Liebe der Produzent:innen zu Tolkiens Welt überzeugt werden und vom Ausmaß ihrer Detailarbeit. So schreibt beispielsweise Shaun Gunner, Vertreter der Tolkien Society [1]: „It is clear that although the storylines are not exclusively Tolkien, the show has been created with a level of craftsmanship and attention-to-detail which is unparalleled, and which is a love letter to the Professor.”

Spätestens aber seit den beiden im Juli veröffentlichten Trailern werden auch misstrauische, unzufriedene Stimmen lauter. Sowohl der zweite Trailer vom 14.07.2022 als auch der dritte, auf der ComicCon International in San Diego am 21.07.2022 [2] veröffentlichte Trailer geben Einblicke in die Geschichte der Serie. Die Produzent:innen schüren damit auch das Feuer unerfüllter Erwartungen auf Seiten der Fans, was sich in zahlreichen Artikeln, Podcasts und YouTube-Videos niederschlägt.

Es zeigt sich, dass die Kritik, positiv wie negativ, die Sprache der Superlative, mit der die Serie überall beworben wird, übernimmt. So spricht beispielsweise ein YouTuber von der Möglichkeit eines „biggest flop in the history of television/streaming“. Ein Video, das immerhin über 568.000mal gestreamt wurde (Stand 26.08.2022). Reaktionen der Fans zielen unter anderem auch auf die Diversität und das ‚Female Empowerment‘ ab. Die ‚Wokeness‘ der Serie wird schon kritisiert, seitdem die ersten Bilder der Serie veröffentlicht wurden. Einigen missfällt beispielsweise, dass Hautfarben innerhalb der Völker vermischt werden (z.B. wird eine der Zwerginnen von einer PoC dargestellt).

Sophia Nomvete (Disa, Zwergenprinzessin) und Owain Arthur (Zwergenprinz), veröffentlicht von PrimeVideo.

Anderen wiederum ist es an Diversität nicht genug. Sie prangern das Fehlen asiatischer Figuren an. Einige Fans verteidigen wiederum die Serie. Ein häufig genanntes Argument ist, dass der Tolkien Estate in die Produktion involviert ist, was bei Peter Jacksons Filmreihe nicht der Fall war (Diskussionen unter Fans lassen sich beispielsweise in Lord of the Rings- Fanforen wie The One Ring nachlesen, z.B. dieser Thread oder unter Beiträgen des offiziellen Twitteraccounts „The Lord oft the Rings on Prime".

Dieses Beispiel zeigt, dass neben den Kosten, die in eine Produktion gesteckt werden, und der Popularität auch noch weitere Qualitätsmarker existieren. Derzeit wird der Tolkien Estate von Ballie Tolkien und Michael Tolkien geleitet, Frau und Neffe des verstorbenen Christopher Tolkien. So gibt es zwar kein klassisches High-/Low-Gefälle zwischen Hoch- und Populärkultur mehr. Dennoch existiert ein Primat der Autorschaft. Dieses Primat setzt aber voraus, dass der Autor bereits populär ist. Übrigens: Die beiden Showrunner der Serie, J. D. Payne and Patrick McKay, versichern die Serie sei zeitlos und verhandele aktuelle politische Diskurse nicht. Dies bleibt angesichts des bisher veröffentlichten Filmmaterials abzuwarten.

Ankündigungen und die Diskussion der Serie in unterschiedlichsten Formaten demonstrieren, dass die Sprache der Superlative vor allem eins bewirkt: Eine Popularisierung zweiter Ordnung, die sich die Populariät der Vorlagen zunutze macht: Den Erfolg der Bücher einerseits, andererseits den der ersten filmischen Umsetzung durch Peter Jackson, die vor etwa zwanzig Jahren zum ersten Mal in die Kinos kam.

Andererseits führt diese Popularität und die „massive expectations“ dazu, dass sich die Produzent:innen immer wieder verantworten müssen. Zumindest aber die erste Staffel wird ein großes Publikum anziehen. Wenn ab dem 2. September 2022 in über 240 Ländern weltweit jede Woche eine neue Folge der ersten Staffel kommt, wird sich zeigen, ob die Serie alle Erwartungen sprengen und die neue Vorstufe der Hobbits, die Harfoots, den Zuschauer:innen genauso an ihre Herzen wachsen werden wie ihre Nachfahren. Ob die Serie es schafft, „tolkienesk“ zu bleiben, was Tolkien-Experte Tom Shippey in einem Interview mit der Tolkiengesellschaft als Voraussetzung für ihren Erfolg beschreibt; oder ob die Serie mehr derjenigen Superlative erzeugt, die in eine andere Richtung gehen und die in dem größten Shitstorm aller Zeiten enden - so oder so, ihre enorme Popularität ist der Serie schon jetzt nicht mehr abzusprechen.

[1] Die Tolkien-Society ist eine in England und Wales eingetragene Bildungs- und Literaturgesellschaft, die 1969 gegründet wurde und international bekannt ist.
[2] Das Panel wurde – wie könnte es auch anders sein – von einem „Tolkien-Superfan“ moderiert: Es handelte sich um den Late-Night-Host Stephen Colbert, über den es heißt: „You do not mess with Stephen Colbert when it comes to knowing his Tolkien.“ (‚Stubby the Rocket‘ 2014)**