Well … Shit: Zum Einfluss von Memes auf die Wissen­schafts­kom­mu­ni­ka­tion in „Don’t Look Up“

Blog
14.03.22
  • Aleksandra Vujadinovic

[Don’t Look Up ist trotz oder gerade wegen seiner zynischen und schwarzhumorigen Darstellung eines Totalversagens der Menschheit im Angesicht des drohenden Weltuntergangs eine der erfolgreichsten Netflix-Produktionen aller Zeiten. In dieser Blog-Serie (im Rahmen der Reihe „Populäre Expertise“) befassen sich vier Wissenschaftler*innen des neu gegründeten Rhine-Ruhr Center for Science Communication Research aus unterschiedlichen Disziplinen (Tobias Kreutzer, Frauke Domgörgen, Aleksandra Vujadinovic und Julika Griem) mit verschiedenen Aspekten der Wissenschaftskommunikation in Don’t Look Up. Dieser Beitrag erscheint parallel auf dem KWI-Blog und dem Blog des SFB 1472 „Transformationen des Populären“.]

Der Begriff Mem wurde 1976 von dem britischen Biologen Richard Dawkins in seinem Buch The Selfish Gene (dt.: Das egoistische Gen) eingeführt. Als Teil seiner Bemühung, die Evolutionstheorie auf kulturellen Wandel anzuwenden, definierte Dawkins Meme als kleine Einheiten der kulturellen Vererbung, analog zu den Genen, die durch Kopie oder Imitation von Mensch zu Mensch weitergegeben werden. Als Beispiele für Meme nennt er in seiner wegweisenden Arbeit unter anderem Kulturartefakte wie Melodien, Schlagworte und Kleidermoden sowie abstrakte Überzeugungen (etwa den Glauben an Gott). Wie die Gene sind auch Meme definiert als Replikatoren, die Variation, Konkurrenz, Selektion und Retention durchlaufen. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt kämpfen viele Meme gleichzeitig um die Aufmerksamkeit von Wirten; doch nur Meme, die zu ihrem soziokulturellen Umfeld passen, verbreiten sich erfolgreich, während andere aussterben.1

Meme bzw. Memes2 sind als humoristisch-satirisches Kulturphänomen ein Mittel der Gesellschaftskritik, das schon lange nicht mehr nur in den sozialen Netzwerken zum Einsatz kommt, sondern mediale Schwellen überschreitet und sich einen Weg in andere Sphären bahnt – so auch in den Film. Ein aktuelles Anschauungsbeispiel ist Adam McKays schwarzhumorige Komödie Don’t Look Up. Der erste Einsatz erfolgt bereits in den ersten Minuten. Während Kate Dibiasky, Doktorandin an der Michigan State University, im Büro einer Sternenwarte Himmelskörper observiert, ihre Laufbahnen berechnet und alles nach einer ‚normalen‘ Nachtschicht ausschaut, gibt das ‚Well Shit‘-Meme, welches bei der visuellen Abtastung einzelner Objekte des Büros fokussiert wird, einen ersten Hinweis darauf, worum es in den nachfolgenden Szenen gehen wird. Das Meme, eine Kombination aus Bild und Schrift, die durch die Verbindung ihre Referenzobjekte und -themen einen humoristischen Kommentar generiert, zeigt einen Astronauten, der auf dem Mond stehend auf die Zerstörung der Erde durch einen brennenden Kometen blickt.3 Die einzige Reaktion, die der Astronaut von sich geben kann – vollkommen handlungsunfähig und nüchtern – ist: ‚WELL … SHIT‘.

Handlungsunfähig und nüchtern können Doktorandin Kate Dibiasky und Dr. Mindy, Professor und Laborleiter, jedoch im weiteren Verlauf des Films nicht bleiben. Verzweifelt versuchen sie ihre erschreckende Beobachtung eines gefährlichen Kometen zu kommunizieren. Sachliche Beschreibungen der nahenden Katastrophe kommen nicht an. Wie beim ‚Well Shit‘-Meme bleibt die Reaktion der Gesprächspartner*innen reserviert und wird ins Lächerliche gezogen, da sonst der Wahlkampf der Präsidentin oder die Quoten der TV-Sendung unter den schlechten Nachrichten leiden könnten. Das ‚Well Shit‘-Meme adressiert durch seine humorvolle Nüchternheit einerseits die Machtlosigkeit und Handlungsunfähigkeit der Wissenschaftler*innen. Sie sehen die Bedrohung und können ein Signal senden, welches jedoch durch die Distanz (zur Erde bzw. zwischen Sender*innen und Empfänger*innen) nicht ankommen kann.

Durch diese wenigen Szenen, die sich auf das ‚Well Shit‘-Meme beziehen lassen, wird deutlich, dass der Verbindung von Wissenschaft und Emotionalität eine enorme Sprengkraft innewohnt. Forschende dürfen keine negativen Emotionen zeigen. Wenn sie welche zeigen, dann bitte doch nur positiv, zum Beispiel durch Humor wie in der TV-Show ‚The Daily Rip‘. Mindy wird durch seine zurückhaltende, ruhige Art populär. Es entsteht ein Meme, das seine Popularität wachsen lässt. Da das Ziel des Memes die schnelle Verbreitung von Einheiten wie Witzen und Gerüchten bzw. kleinen kulturellen Einheiten ist,4 wird Mindy nach dem Auftritt in Anlehnung an ‚MILF‘-Memes als „A.I.L.F.“ bzw. „Astronomer I’d like to fuck“ bekannt. Das Meme trägt in der Öffentlichkeit zur Beliebtheit bei, was durch das Einblenden von Twitter-Kommentaren über sein Aussehen verdeutlicht wird. Auf die Reputation in der scientific community hingegen wirkt sich die Verbreitung des sexualisierenden Memes negativ aus. Der Star-Status hilft ihm nicht bei der Vermittlung seiner Erkenntnis und in der Wissenschaft kann er auch nicht mehr ernst genommen werden. Das Meme hat eine Identitätskrise geschaffen, die ihren Höhepunkt in der Affäre mit der TV-Moderatorin und der Konfrontation mit seiner Ehefrau im Hotelzimmer erreicht: Mindy muss sich entscheiden, ob er ein Star bleiben oder wieder Ehemann und Wissenschaftler sein will.

Dibiaskys emotionaler Auftritt und insbesondere die Aussage „and you should stay up all night every night crying when we’re all 100% for sure gonna fucking die“ werden zur Grundlage ihrer ‚Memefizierung‘. Ihre Emotionalität wird mit Unsachlichkeit und somit auch mit Verrücktheit in Verbindung gebracht – das ‚Todesurteil‘ für Wissenschaftler*innen. Konstruiert wird die Verbindung von Emotionalität und Verrücktheit mit dem ‚Crazy. It’s all in the eyes‘-Meme, welches ein Polizeifoto von Charles Milles Manson, bekannt für die ‚Manson Family Murders‘ (links) und ein Foto von Dibiasky mit ‚verrückt‘ wirkenden Augen (rechts) kombiniert. Über den Fotos erscheint das Wort ‚CRAZY‘, darunter die Phrase ‚IT’S ALL IN THE EYES‘5. Der erstellte Zusammenhang zwischen der ultimativen Pervertierung der friedliebenden Hippie-Bewegung mit Manson steht in einem extremen Kontrast zu Dibiaskys ‚alternativem Auftreten‘ und kann als Angriff bzw. Hass-Meme gewertet werden. Außerdem wird sie mithilfe der Bildmontage als ‚Baby-Esserin‘ dargestellt und als solche mit den Kindermord-Theorien der QAnon-Bewegung verbunden. Die Bewegung verbreitet das Gerücht, die liberale Elite (Bill Gates, Hillary Clinton etc.) entführe, missbrauche und esse Kinder, um sich zu verjüngen.

Auch wenn Mindy zunächst ruhig bleibt und mithilfe von Medientraining ein ‚guter‘ Wissenschafts-Entertainer wird, kommt es auch bei ihm zu einem emotionalen ‚Patzer‘, nachdem die Moderator*innen der TV-Show über die ‚Vorteile‘ des Kometeneinschlags sprechen. Im Anschluss an seinen Wutausbruch landet er mit einem Sack über dem Kopf in einem Auto der Regierung und wird aus der Öffentlichkeit ‚weggeschafft‘. Die Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse scheitert auf gesamter Linie. Beide Wissenschaftler*innen werden aufgrund ihrer Emotionalität als ‚verrückt‘ abgestempelt und verlieren ihre Popularität. Sie verlassen die Stadt und geben auf. Ähnlich wie im ‚Well Shit‘-Meme schauen sie in einer späteren Szene zum Himmel hinauf und entdecken den Kometen. Sie sind handlungsunfähig, wie der Astronaut. Erzählerisch schließt sich hier der Kreis.

All dies wirkt äußerst vertraut, führen wir uns die Corona-Krise und den Diskurs um die Reputation und Popularität von Karl Lauterbach und Christian Drosten vor Augen. Googeln wir nach ‚Meme Lauterbach‘ oder ‚Meme Drosten‘ finden wir z. B. auf gloria.tv ein Meme, das Karl Lauterbach mit einer welligen Haarpracht zeigt und diese Darstellung mit dem Schriftzug „Lauterbach warnt vor Dauerwelle“6 verbindet. Ins Lächerliche gezogen wird Lauterbach hier ähnlich wie die ‚emotionale‘ Dibiasky. Christian Drosten hingegen scheint der Mindy in dieser Geschichte zu sein. Bei Google-Bilder stoßen wir auf ein Meme mit Drosten im Hintergrund und einem darüber gelagerten Twitter-Ausschnitt von @FrauHackenpieps: „Gibt es eigentlich schon einen Bravo Star-Schnitt von Christian Drosten“.7 Das Meme leitet auf THE BEST SOCIAL MEDIA weiter. In der Überschrift des Artikels wird Drosten als „Ruhepol im Chaos“8 beschrieben. Warum er der „Internet-Liebling“9 sei, fasst die Website in ihrem Beitrag mithilfe einer Sammlung von ‚erklärenden‘ Twitter-Beiträgen zusammen.10 Nicht nur hat sich um Drosten herum, ähnlich wie um Mindy, eine erotisch interessierte Fanbase entwickelt, auch wurde er vom Magazin ‚Playboy‘ zum „Mann des Jahres 2021“ ernannt. Lauterbach hingegen bekommt keine Liebesbriefe, sondern Morddrohungen wie Dibiasky.

Was können wir aus diesen Beobachtungen lernen? Zunächst einmal, dass die Auseinandersetzung mit Memes notwendig ist, da sie eine rasante Verbreitung von Witzen, Gerüchten bzw. kleinen kulturellen Einheiten ermöglichen, die einen gemeinsamen Verständnisrahmen schaffen, der zur Meinungsbildung beiträgt. Als ‚Running Gag‘ kann das Meme durch verdichtende Referenzierung eine sehr große Menge an Menschen erreichen und Wissen verbreiten. Darüber hinaus hat das Meme einen Einfluss auf die Popularität und Reputation sowie schlussendlich auch die Identitätsbildung von Memefizierten. Emotionen spielen dabei eine wichtige Rolle. Emotionale, aber auch emotionslose Performances können Artefakte entstehen lassen, die als Basis für anschließende Memefizierung dienen. Memes können eine Gefahr für die Reputation von Forschenden darstellen, während sich negative Emotionen auf die Popularität auswirken können. Emotionalisierte Kommunikation wird auch von der Leopoldina in ihrer Stellungnahme zu Sozialen Medien und Wissenschaftskommunikation als ein Risiko beschrieben:

Aufgrund der niedrigen Zugangsschwelle bei Social-Media-Plattformen kommt es leichter zu emotionalisierter Kommunikation (unter anderem Hasskommentare) und (gezielt oder unabsichtlich) zu viraler Verbreitung von Fehlinformationen, die zwar als Fehlentwicklungen von Social Media insgesamt gesehen werden, aber für alle Mitwirkenden Glaubwürdigkeits- beziehungsweise Vertrauensprobleme mit sich bringen können. Das ist ein besonderes Risiko für die an der Wissenschaftskommunikation beteiligten Akteure.11

Bei den fiktionalen Charakteren Dibiasky und Mindy wurden misogyne Hass-Memes oder sexualisierte Memes zitiert, zu Lauterbach und Drosten kursieren verschiedenste Arten von Memes, die Glaubwürdigkeits- und Vertrauensprobleme auf der Basis von emotionalisierter Kommunikation entstehen lassen.

Emotionale Ansprache kann jedoch auch als Chance betrachtet werden.12 Das Format des Blogs wird in vielen Bereichen der Wissenskommunikation genutzt, da es sich durch seine Kürze sowie die direktere Ansprache dichter am Alltag der Nutzenden und Wissensdurstigen bewegt.13 Auch Memes haben sich ihren Weg in die Sphäre der öffentlichen Verlautbarung von Erkenntnis und Wissen gebahnt: Die Moderatorin der Tagesschau inszeniert sich bei der Kundgabe des Jugendwortes des Jahres als Meme, indem sie sagte:

Das Jugendwort des Jahres 2021 ist da. Gewonnen hat: Cringe. Aber was ist das eigentlich? ‚Cringe‘ ist das Gefühl, das sie haben, wenn ich den folgenden Satz sage: „Digga, wie fly ist eigentlich die Tagesschau, wenn sie mit Jugendwörtern flext?“14

Auf dem Instagram-Account von FUNK, einem Content-Netzwerk von ARD und ZDF, werden Memes u. a. zur Adressierung von gesamtgesellschaftlichen Problematiken verwendet. Zum Beispiel erstellt FUNK einen Beitrag mit zwei übereinander angeordneten Ausschnitten aus der Fernsehserie The Simpsons. Der obere Ausschnitt zeigt Bart mit verstörtem Blick, der untere Homer, der Bart an die Schulter fasst und ihm einen belehrenden Finger vor das Gesicht hält. Kombiniert werden die beiden Ausschnitte mit dem Text: „OLYMPIA 2022 IST DIE SCHLIMMSTE SPORTVERANSTALTUNG“ (oben) und „DIE SCHLIMMSTE SPORTVERANSTALTUNG BIS ZUR WM IN KATAR“ (unten). In beiden Beispielen verringern Memes durch ihre affektorientierte Ästhetik die Distanz zwischen Sender*innen und Empfänger*innen, indem sie politische und popkulturelle Inhalte durch die Kombination mit humoristisch-satirischen Inhalten attraktiver machen.

Memes können nicht nur als eine Gefahr für die Reputation von Wissenschaftler*innen aufgefasst werden kann. Warum nutzen wir dann nicht ihre Wirkmacht, um wissenschaftliches Wissen für die Öffentlichkeit zugänglicher und ansprechender zu gestalten? Verwendet werden kann das Meme mit seiner affektgenerierenden Ästhetik zur Mobilisierung von kulturellem und wissenschaftlichem Wissen, zur Dynamisierung der Partizipation am wissenschaftlichen Diskurs sowie der Annäherung an das alltägliche Leben von Wissbegierigen. Anstatt sich gegen die Nivellierung der Grenzen zwischen Hoch- und Popkultur zu wehren, sollte die zukünftige Forschung zur Wissenschaftskommunikation auch populäre Phänomene in den Blick nehmen, Risiken sowie Chancen ausloten und innovative Kommunikationsstrategien entwickeln. Die Auseinandersetzung mit populären Kommunikationsphänomenen kann neue Kommunikationsformen schaffen, die mit der Digitalisierung besser in Einklang zu bringen sind als traditionelle Formate. Dieser Beitrag ist ein weiterer Schritt „um die klaffende Lücke zwischen dem (skeptischen) akademischen und dem (enthusiastischen) populären Diskurs über Meme zu überbrücken“ , um deutlich zu machen, dass Memes ein Potenzial für die Wissenschaftskommunikation bieten.

Aleksandra Vujadinovic ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Medienentwicklung und -analyse (IMEA), an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Im Rahmen des Rhine-Rhine Ruhr Center for Science Communication Research (RRC) forscht sie zu dem Teilprojekt „Redesigning Reflexivity in Science Communication“.

Anmerkungen

1 Limor Shifman (2014): Meme. Kunst, Kultur und Politik im digitalen Zeitalter. Aus dem Eng. v. Yasemin Dincer. Berlin: Suhrkamp, S.16.
2 Im Nachfolgenden verwende ich den alltagssprachlich gebräuchlicheren Begriff ‚Meme‘ (Sg.) bzw. ‚Memes‘ (Pl.).
3 Das Meme wird in der Szene nicht vollständig gezeigt. Abgeschnitten wird der obere Teil, in dem zu sehen ist, dass die Erdkugel vom Kometen durchdrungen und zerstört wurde.
4 Limor Shifman (2014): Meme. Kunst, Kultur und Politik im digitalen Zeitalter. Aus dem Eng. v. Yasemin Dincer. Berlin: Suhrkamp, S.10.
5 Vgl. https://www.fmv6.com/wp-content/uploads/2022/01/Dont-Look-Up-Review-Even-with-all-the-top-stars-this-blockbuster-is-still-overdone-4.png.
6 https://gloria.tv/post/3kyBNwoGpCG923wFZT9mgEWZi.
7 https://www.thebestsocial.media/de/wp-content/uploads/sites/3/2020/03/Drosten-FB.png. Der Bravo Star-Schnitt ist eine Rubrik des Jugendmagazins Bravo, in dem sich Teile eines lebensgroßen Posters befinden, die gesammelt und zusammengeklebt werden müssen.
8 Ebd.
9 https://www.thebestsocial.media/de/ein-ruhepol-im-chaos-virologe-christian-drosten-ist-aktuell-der-internet-liebling/.
10 Vgl. ebd.
11 acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (Hrsg.) (2017): Social Media und digitale Wissenschaftskommunikation. Analyse und Empfehlungen zum Umgang mit Chancen und Risiken in der Demokratie. München, S. 38.
12 Ebd., S. 37.
13 Vgl. ebd.
14 https://www.youtube.com/watch?v=lZ55wC3hHp0.

SUGGESTED CITATION: Vujadinovic, Aleksandra: Well … Shit: Zum Einfluss von Memes auf die Wissen­schafts­kom­mu­ni­ka­tion in „Don’t Look Up“, in: KWI-BLOG, [https://blog.kulturwissenschaften.de/well-shit/], 14.03.2022

https://doi.org/10.37189/kwi-blog/20220314-0830