Nachruf auf Jochen Venus (1969–2024)
Als Autor tritt Jochen Venus das erste Mal in einer Publikation aus dem Jahr 1995 in Erscheinung. Er hat gemeinsam mit dem Siegener Mediävisten und Medienwissenschaftler Jürgen Kühnel ein Gespräch mit Peter Mussbach (Regisseur) über seine Inszenierung von Strawinskys Opera The rake’s progress geführt, das in Wort und Musik: Salzburger akademische Beiträge (No. 28) erschienen ist. Das Studium an der damaligen Universität-Gesamthochschule Siegen war, im aktuellen Jargon formuliert, so forschungsnah, so barrierefrei und so partizipativ, dass Professoren und Studenten gemeinsam veröffentlichten: 1998 erschien in den Weimarer Beiträgen eine Besprechung der Tagung „Theorie als kulturelles Ereignis“, die Jochen Venus gemeinsam mit K. Ludwig Pfeiffer verfasst hat. Und so ging es weiter. Text für Text. Mal kollaborativ verfasst, mal allein, aber immer erkennbar an seinem Stil, seinen thematischen Vorlieben und seiner medienphilosophischen Reflexionsschärfe. Mit fast allen Kolleginnen und Kollegen der in Siegen aus dem erweiterten Literaturbegriff der Philologien entstandenen Medienwissenschaften hat er publiziert, mit Annette Keck, Jens Schröter, Nicola Glaubitz, Benjamin Beil, Sascha Simons, Gundolf Winter, Henning Groscurth, Katja Hoffmann, Jörgen Schäfer, Gregor Schwering, Christoph Ernst, Ingo Köster, Axel Volmar, Marcus S. Kleiner, Ivo Ritzer, Erhard Schüttpelz und vor allem und immer wieder mit Rainer Leschke, seinem akademischen Mentor. Siegen war seine akademische Heimat: Hier gehörte er zu den ersten Studenten des Diplom-Studiengangs „Medien-Planung, -Entwicklung und -Beratung“, das er mit einer als Buch veröffentlichten Arbeit Referenzlose Simulation? Argumentationsstrukturen postmoderner Medientheorie am Beispiel von Jean Baudrillard abschloss. Das Graduiertenkolleg „Intermedialität“ und der SFB „Medienumbrüche“ waren seine Salons. Hier reifte seine Dissertation, die 2013 unter dem Titel Masken der Semiose. Zur Semiotik und Morphologie der Medien bei Kadmos erschienen ist. Und hier entstanden seine zahlreichen Arbeiten zu Computerspielen.
Zu Jochen Venus gehört auch seine warme, sonore Stimme. Ein frühes Zeugnis bietet ein Hörbuch, das eine akustische Einführung in die Medienwissenschaften gibt. Dieser Sound macht auch seine späteren Podcasts so unwiderstehlich. Jochen Venus war aber nicht nur ein Podcaster avant la lettre, sondern hat auch schon für die FAZ gebloggt, bevor dies zum Pflichtprogramm für Forschungseinrichtungen und Tageszeitungen geworden ist. Natürlich hat er zu allen Siegener Zeitschriften beigetragen, der LiLi und den Navigationen. Und auf Twitter und Bluesky hat Jochen Venus diskutiert, theoretisiert, sinniert, Aphorismen geschmiedet und Lieblingsmusik verbreitet.
Auf großes und noch immer anhaltendes Interesse sind seine phänomenologischen Studien zum Populären und zum Pop gestoßen. Die fruchtbarste Rezeption dieser Arbeiten lässt sich bei Heinz Drügh und Moritz Baßler studieren. In Siegen haben seine Ideen den SFB „Transformationen des Populären“ inspiriert, und auch hier ließe sich wieder eine lange Reihe von Autor:innen nennen, mit denen Jochen Venus gemeinsam publiziert hat. 2022 eröffnete sein Text Maßstabskonflikte im Populären. Über Friktionen der Popularisierung zweiter Ordnung am Beispiel der ZDF-Hitparade die Working Paper Series des SFB. Es ist sehr traurig, dass dies sein letzter Text gewesen sein wird.
Mit großer Bestürzung haben wir seinen Tod zur Kenntnis nehmen müssen.
Niels Werber