Jahrestagung 2023 – Paratexte des Populären
04. – 06. Oktober 2023
Universität Siegen
Seminarzentrum Obergraben, Obergraben 25
Raum US-S 002
57072 Siegen
Die Tagung untersucht, welches Verhältnis Paratexte zu Phänomenen des Populären unterhalten.
Wir bitten um Anmeldung zur Tagung bei Alinda Brandt (alinda.brandt@student.uni-siegen.de)
English Version Paratexte geben Texten und mit ihnen vergleichbaren kulturellen Produktionen eine für ihre Rezeption, Produktion und Zirkulation, kurz: für ihre Kommunikation unabdingbare Kontur. Das macht sie für die Frage nach den Transformationen des Populären interessant. Bereits Gérard Genette hatte darauf hingewiesen, dass Paratextualität zusammen mit der Medienevolution variiert und neue Formen etabliert. Die Forschungsdiskussion der letzten Jahrzehnte hat diesen Hinweis insofern aufgenommen, als sie das Konzept erfolgreich auf den Kinofilm, auch auf den Fernsehflow hin bezogen und angepasst hat. In vielfältigen Ansätzen wird überdies inzwischen erprobt, prägnante Phänomene der digitalen Ära mit paratexttheoretischen Begriffen zu erfassen: Games, Posts und Threads in verschiedenen Umgebungen, Hypertexte aller Art.
War Genettes initialer theoretischer Einsatz fast ausschließlich vom Werk-als-Buch-Paradigma bestimmt und entsprechend autorzentriert, so kommen mit medienhistorischer Differenzierung zunehmend alternative Bezugsgrößen in den Blick. Parallel dazu wird auch in der Literatur- und nicht zuletzt in der Editionswissenschaft versucht, im Hinblick auf Zeitungen und Zeitschriften, Briefe und Miszellaneen die jeweils gegebene Text-Paratext-Relation begrifflich neu zu fassen. Zwischenzeitlich sind vor allem Untersuchungen epitextueller Phänomene dazu übergegangen, ihrem Gegenstand Textstatus zuzuschreiben, das heißt ihn auf Paratexte zweiter Ordnung hin zu analysieren. Im Zuge solcher Forschungstendenzen löst sich die in der ursprünglichen Konzeption scheinbar ohne weiteres vorausgesetzte Differenz von Text und Paratext in eine relational komplexe paratextuelle Architektur hinein auf – womöglich bis hin zur Inversion der Unterscheidung.
Entgegen einem Begriffsverständnis, das Paratexte als umstandslos, das heißt unbeschadet des von ihnen eingefassten Textes ablösbare Randstücke auffasst, empfiehlt es sich, sie als Parerga im Sinne Jacques Derridas ernstzunehmen. Als solche bleiben sie weder in der peri- noch in der epitextuellen Dimension den von ihnen gerahmten Texten gegenüber äußerlich. Stattdessen sind sie ihnen eventuell bis in ihre materiale Faktur hinein eingewoben. Wenigstens der Möglichkeit nach prägt also der heteronome paratextuelle Hilfsdiskurs die autonome Gestalt des Textes ebenso mit wie vice versa. Kurz: selbst wenn sie die Form von Verpackungen oder Umschlägen annehmen, wirken Paratexte doch im Innern des Verpackten.
Mögen viele Paratexte wesentliche Funktionen in Strategien und Taktiken des Marketings erfüllen, gehen sie darin doch so wenig auf, dass es sich zu fragen lohnt, ob ihnen im Verhältnis zu ihrem Text nicht die Rolle von Teilen im Verhältnis zum Ganzen zukommt. Das allerdings ist eine Frage, für die es keine Passepartout-Antwort gibt. War es Genettes strukturalistischer Ehrgeiz, eine Art allgemeine Grammatik des Paratexts zu entwerfen, so hat er doch der historisch-hermeneutischen Analyse einzelner paratextueller Erscheinungen das letzte Wort eingeräumt. Auch kritisch-prüfende, seinen Ansatz modifizierende Forschungen tun bis auf weiteres gut daran, ihm hierin zu folgen.
Paratexte unterhalten besondere Beziehungen zu Phänomenen des Populären. Denn in der Zone der Paratextualität wird ausgehandelt, wie Texte oder andere Artefakte in der Öffentlichkeit erscheinen, aufgenommen werden, zirkulieren. Paratexte konturieren also deren Profil parergonal auch nach außen hin. Bereits die frühneuzeitliche Kritik einer »Marktschreyerey der Gelehrten« und noch die in der digitalmedialen Gegenwart fällige Beanstandung von »Clickbaiting« machen klar, dass es sich hierbei um ein spannungsvolles Verhältnis handeln kann. Andere paratextuelle Formen allerdings rechtfertigen es geradezu, von Paratexten der Popularität zu sprechen. Diese bedienen sich einerseits der mitunter bis ins Drastische prägnanten Signifikanten der populären Kultur und versuchen andererseits selbst solche hervorzubringen.
Die Praktiken der massenmedialen Blockbuster-Kultur dürften in dieser Hinsicht nach wie vor das maßgebliche Modell darstellen. Die für Popularität schlechthin konstitutiven Erfolgszahlen verdienen aber auch in weiteren Medien Beachtung: Auflagenzahlen spielen bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts in biblionomen Peritexten ihre Rolle; inzwischen sind Aufrufe, Clicks und Likes registrierende Zählwerke in vielen Digitalmedien geradezu Standard, auf Social Media-Plattformen sind sie bedeutende Bestandteile des dort programmierten paratextuellen Regimes. Es gibt »Goldene Schallplatten«; Bücher, DVDs, Videospiele werden mit Angaben zu ihrer Besten- und Bestsellerlistenplatzierung ausgezeichnet und so fort. Peri- und Epitexte werden hierbei nicht selten zu Treibern oder Erzeugern von Popularität, indem sie variierend vervielfältigt werden und proliferieren. Dass die Produktionen populärer Kultur zur Serialität inklinieren, stellt die von Haus aus auf Einzelwerke zentrierte Paratexttheorie vor besondere Herausforderungen. Das gilt auch für die Selbstverständlichkeit, mit der diese Produktionen neue intermediale und materielle Verbindungen eingehen, in denen die Funktion von Paratexten zu untersuchen wäre.
Programm
Anreise der Teilnehmer*innen
10:00 – 12:00 Uhr
Jörg Döring (Siegen) und Niels Werber (Siegen): Einführung
Torsten Hahn (Köln): „Jeder Band / ist auch / einzeln / erhältlich“. Die Hüllen des Textes als Ort der ästhetischen Verhandlung
12:00 – 12:15 Uhr
Kaffeepause
12:15 – 13:15 Uhr
Maren Lickhardt (Innsbruck): Überlegungen zu Paratextualität und Intermedialität am Beispiel von Irmgard Keun, Ruth Landshoff-Yorck und Unterhaltungsmagazinen der Weimarer Republik
13:15 – 14:30 Uhr
Mittagspause
14:30 – 16:30 Uhr
Jens Ruchatz (Marburg): Judging the magazine by its Cover. Überlegungen zur transmedialen Produktivität des Paratextbegriffs am Beispiel des Zeitschriftentitels
Sabina Fazli (Mainz) / Oliver Scheiding (Mainz): Paratextuelles Doing: Unabhängige Magazine als ludische Zonen
16:30 – 17:00 Uhr
Kaffeepause
17:00 –19:00 Uhr
Joseph Imorde (Berlin Weißensee): Paratexte in kunsthistorischen Publikationen um 1900
Christine Haug (München): Paratexte im Heftromangeschäft im frühen 20. Jahrhundert
19:30 Uhr
Abendessen
10:00 – 12:00 Uhr
Jörg Döring (Siegen): Verlegerische Peritexte im wissenschaftlichen Taschenbuch zwischen 1955 und 1980
Thomas Wegmann (Innsbruck): „Ich bin es, den ich darstelle“. Zur Funktion von Epitexten bei Max Frisch
12:00 – 12:15 Uhr
Kaffeepause
12:15 – 13:15 Uhr
Cornelia Wild (Siegen): Pasolini para-/subtextuel. Über Pasolinis Fernseharbeiten (Appunti per un'Orestiade africana, Appunti per un film sull’India)
13:15 – 14:30 Uhr
Mittagspause
14:30 – 16:30 Uhr
Natalie Binczek (Bochum): Paratexte der Literaturvermittlung
Michael Multhammer (Siegen): Paratext: Sticker
16:30 – 17:00 Uhr
Kaffeepause
17:00 – 19:00 Uhr
Carolin Amlinger (Basel): Wenn das Buch zum Beiwerk wird. Zum Phänomen des Debattenromans
Daniel Stein (Siegen): The Paratextual Politics of Digital Platforms: Negotiating Superhero Violence
19:30 Uhr
Abendessen
10:00 – 12:00 Uhr
Johannes Paßmann (Bochum): Paratext praxeologisch – am Beispiel des Online-Kommentars
Judith Niehaus (Bonn): Sort by Popularity. letterboxd als Paratextmaschine
12:00 – 12:15 Uhr
Kaffeepause
12:15 – 13:15 Uhr
Niels Werber (Siegen): Digitale / serielle Paratexte
13:15 – 14:30 Uhr
Mittagspause
14:30 – 16:30 Uhr
(beides digital, nur diese Sektion wird gestreamt)
Jonathan Gray (Wisconsin/Madison): Kickstarting Textuality: Popular Media’s Anticipatory Pleasures and Economics
Nadine Desrochers und Constance Poitras (Montréal): Metrics of popularity and taste: the codification and illocutionary force of the paratext in bibliographic databases
16:30 – 17:00 Uhr
Kaffeepause
17:00 – 19:00 Uhr
Carlos Spoerhase (München): Hermeneutik des Verdachts: Politische Zonen der Paratextualität und Popularisierung wachsamer Lektüre um 1830
19:30 Uhr
Abendessen
Abstracts
„Jeder Band / ist auch / einzeln / erhältlich“. Die Hüllen des Textes als Ort der ästhetischen Verhandlung
Gegenstand des Vortrags sind die Bücher der ‚Buchserie‘ „Heute Morgen“ von Rainald Goetz in der Fassung von 2004, also umgeben von einem Schuber, der von Albert Oehlen gestaltet wurde. Schon dieses die Bücher umfassende Element führt in die Abgründe der Parerga, da diese Strategie nur scheinbar rein ‚äußerlicher‘ Kohärenzstiftung ein Pendant im Innern der Bücher hat: Goetz Bücher sind paratextuell vorgesteuert, u.a. durch Gliederungsverzeichnisse in der Titelei des Buches, die ‚Serien‘ oder „Buchkomplexe“ unterscheiden. Hier ist zu fragen, wie sich diese gegenläufigen Strategien verbinden. Kompliziert wird alles aber zusätzlich durch den Umstand, dass der Schuber keineswegs der äußerste Rahmen ist. Denn um das Ganze herum spannt sich die Schutzfolie, auf der der titelgebende Aufkleber eine keineswegs restlose Auskunft über das Ganze und seine Teile gibt. Dies führt zur Frage nach den Supplementen ‚Aufkleber‘, ‚Folie‘ und ‚Schuber‘. Mit Blick auf letzteren: Inwiefern ist das, was offenbar als bloßer und unwesentlicher Zusatz nicht einzeln erworben werden kann, als äußerer Rahmen dem Werk wesentlich?
Torsten Hahn, Prof Dr. lehrt Neuere deutsche Literaturwissenschaft am IdSL 1 der Universität zu Köln.
Publikationen mit Bezug zur Tagung u.a. :
- (Hg., zusammen mit Charlotte Coch und Nicolas Pethes): Lesen / Sehen. Literatur als wahrnehmbare Kommunikation. Bielefeld 2023.
- Zirkulation - Informationssteigerung im Umlaufverfahren, in: Medienkritik und Wirkungsästhetik, hg. v. Nicolas Pethes und Susanne Düwell, Berlin 2023, S. 14-30
- Schwarze Flächen und weiße Leerräume. Selbst- und Fremdreferenz in der Oberflächenästhetik. (Eine Buchseite von Thomas Meinecke), in: Text + Kritik, H. 231 (2021): Thomas Meinecke, hg. v. Charlotte Jaekel, S. 38-45.
Überlegungen zu Paratextualität und Intermedialität am Beispiel von Irmgard Keun, Ruth Landshoff-Yorck und Unterhaltungsmagazinen der Weimarer Republik
Der Beitrag skizziert das Verhältnis der Romane Das kunstseidene Mädchen von Irmgard Keun und Die Vielen und der Eine von Ruth Landshoff-Yorck zu illustrierten Unterhaltungszeitschriften der Weimarer Republik wie Die Dame, Elegante Welt und Uhu. Dieses Verhältnis ist unter dem Gesichtspunkt der Intermedialität/Intertextualität bestens untersucht. Das Korpus bietet sich gerade darum an, es vor dem Hintergrund von Theorien zur Paratextualität einer Revision zu unterziehen. Letztlich geht es in einem theoretischen Versuch darum, den heuristischen Wert von Paratext-Konzepten für die Erforschung der Pop- und Populärkultur in Gestalt von Unterhaltungsmagazinen zu beleuchten. Möglicherweise lasst sich das wechselseitige Bedingungsverhältnis der verschiedenen Text- und Bildsorten unter diesem Gesichtspunkt präziser darlegen als mit Intermedialität/Intertextualitätstheorien.
Maren Lickhardt hat Germanistik, Publizistik, Philosophie in Mainz studiert, war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Siegen und der FernUniversität in Hagen, Juniorprofessorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Literaturtheorie in Greifswald und ist nun assoziierte Professorin an der Universität Innsbruck. Sie ist Leiterin des Teilprojekts im SFB Präfigurationen von Pop in Unterhaltungsmagazinen der 1920er Jahre. Nach ihrer Promotion zu Irmgard Keuns Weimarer Romanen hat sie eine Monografie zu Pop in den 1920er Jahren und eine Broschüre für die Landeszentrale für politische Bildung Thüringen über das kulturelle Berlin der 1920er Jahre vorgelegt. Ihre dritte Monografie Binge Watching ist in diesem Jahr bei Wagenbach in der Reihe Digitale Bildkulturen erscheinen. Ihre Habilitation zur Aktualisierung des Schelmenromans im 20. und 21. Jahrhundert erscheint demnächst. Sie forscht zur Kultur und Literatur der Weimarer Republik, dem Schelmenroman der Frühen Neuzeit und der Gegenwart, Fernseh- und Streamingserien und seit neustem zu Pseudo-Wissenschaften.
Judging the magazine by its Cover. Überlegungen zur transmedialen Produktivität des Paratextbegriffs am Beispiel des Zeitschriftentitels
Anhand des Zeitschriften-Titelblatts möchte der Vortrag die transmediale Übertragbarkeit des Paratext-Begriffs problematisieren. Um die Paratextualität der Zeitschrift zu erkunden, wähle ich das das Titelblatt, weil seine funktionalen Entsprechungen Vorspann/Titelsequenz bei Film und Fernsehserie zu den Gegenständen gehören, für die der Paratext-Begriff medienübergreifend geltend gemacht wurde.
Die Zeitschrift bietet sich für die Diskussion an, weil sich bei ihr überdeutlich die Frage aufdrängt, was überhaupt als paratextuell gerahmter Text zu verstehen wäre: der einzelne Beitrag in Relation zu anderen Inhalten des Heftes? der gesamte ‚Inhalt‘ einer Ausgabe in Bezug auf den Titel? die Nummer im Verhältnis zum Zeitschriftenlauf? Erschwerend hinzu kommt das massive Auftreten von Werbung inmitten der Hefte.
In einem kurzen historischen Abriss, der sich auf illustrierte Titelblätter konzentrieren wird, möchte ich zeigen, wie der Titel jeweils sein Verhältnis zum ‚Inhalt‘ der Zeitschrift neu verhandelt und ausstellt. Fluchtpunkt soll gewissermaßen eine äußerst kursorische Funktionsgeschichte des Zeitschriftentitels, ausgehend vom Konzept der Paratextualität werden.
Jens Ruchatz ist Professor für Medienwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg. Aktuelle Forschungsschwerpunkte sind kulinarische Medien, die Fotografie in periodischen Printmedien, Bildpraktiken des Digitalen und Medien der Liebe. Jüngste Publikationen: Food – Media – Senses. Interdisciplinary Approaches, Bielefeld: trancript 2023 (im Erscheinen; hg. mit Christina Bartz und Eva Wattolik); „Am Ende Liebe? Zeitlichkeiten der Liebe in Erzählungen aus Film und Fernsehen“, in: Sven Grampp/Peter Podrez/Nicole Wiedenmann (Hg.), Medien | Zeiten. Interdependenzen, Wiesbaden: Springer 2023, S. 79-105.
Paratextuelles Doing: Unabhängige Magazine als ludische Zonen
Der Vortrag diskutiert unabhängige Zeitschriften als exemplarische Objekte für paratextuelles doing mit magazinalen Mitteln. Seit den 1990ern und insbesondere in den letzten zehn Jahren hat sich eine transnationale Szene um die sogenannten independent magazines, oder kurz indies, etabliert – als ostentativ ‚nicht-populärem‘ Gegenstück zur kommerziellen Publikumszeitschrift. Diese Magazine brechen die Zeitschriftenform und das Magazinlesen durch ein Spiel mit ‚Verpackungen‘ und Verfremdungen paratextueller Beziehungen. Der Vortrag nimmt Bezug auf eine zentrale Idee des Tagungskonzept, die sich auf die Gestalt von Texten bezieht und besagt, dass „selbst wenn [Texte] die Form von Verpackungen oder Umschlägen annehmen, [...] Paratexte doch im Innern des Verpackten [wirken]“ (Stanitzek 2023). Anhand mehrerer aktueller Magazinprojekte versucht der Vortrag zu zeigen, wie durch jeweils unterschiedliche parergonale Rahmungen ein paratextuelles doing in Szene gesetzt wird, das mit den Formen populärer Zeitschriftenformate experimentiert und aus ihnen neue magazinale Assemblagen kreiert.
Sabina Fazli ist Postdoc im Teilprojekt „Kuratierte Körper: Ästhetische Humandifferenzierung in Zeitschriften“ des SFB Humandifferenzierung an der Universität Mainz. Sie ist Mitherausgeberin des Handbuch Zeitschriftenforschung (Transcript 2022). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Periodical/Magazine Studies, insbesondere zeitgenössische unabhängige Zeitschriften, die britische style press sowie Materialität und Affekt im Magazinlesen.
Oliver Scheiding ist Professor für Amerikanistik am Obama Institute for Transnational American Studies der Universität Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte sind nordamerikanische Literatur und Kultur, Magazine Studies sowie Print and Material Culture. Gegenwärtig leitet er ein DFG gefördertes Projekt zu indigenen Periodika und wirkt als PI am SFB 1482 „Humandifferenzierung“. Sein aktuelles Buch Print Technologies and the Making of American Literatures erscheint 2024 bei Wiley-Blackwell.
Paratexte in kunsthistorischen Publikationen um 1900
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts lassen es sich Kunstverlage angelegen sein, die Illustrationszahlen der verlegten Bücher auf den jeweiligen Titelblättern anzuzeigen. Ein Grund für diese neue Praxis ist – um es sehr generell auszudrücken – ein Wandel innerhalb der visuellen Kultur. „Die Kunstliteratur am Schlusse des Jahrhunderts steht unter dem Zeichen der Illustration“. (Steinmann 1898) Die Verlagsanstalten konkurrieren mit zunehmender Intensität miteinander und kämpfen mit immer neuen Publikationsformen und -formaten um Marktanteile. Ein wichtiges Datum ist die Erfindung der Autotypie, die ab circa 1900 den preiswerteren Einsatz großer Mengen von Reproduktionen möglich macht. Mit der schnellen Perfektionierung des Verfahrens entwickelt das Buchgewerbe eine vollkommen neue Dynamik, bei der die Anzahl und Güte der Bilder eine entscheidende, weil verkaufsfördernde Rolle spielt. Der Vortrag versucht, diese Dynamik nachzuzeichnen und zu kontextualisieren.
Joseph Imorde studierte Kunstgeschichte in Bochum, Rom und Berlin. Er arbeitete als Redakteur für die Architekturzeitschrift Daidalos und gründete 1996 den Buchverlag »Edition Imorde«. Er lehrte unter anderem in Zürich, Aachen, Bremen, bis er 2008 auf den Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Universität Siegen berufen wurde. 2012 und 2017 war er Scholar am Getty Research Institute in Los Angeles. Seit 2021 lehrt er Kunstgeschichte an der Weißensee Kunsthochschule Berlin.
Paratexte im Heftromangeschäft im frühen 20. Jahrhundert
Paratexte sind konstitutiver Bestandteil des Medienformats ‚Heftroman‘, wobei Paratexte die Leserschaft informieren, aber auch verlagseigene oder branchenfremde Produkte bewerben, den Heftroman u.a. in seiner Eigenschaft als Ware charakterisieren. Inwieweit die beworbenen Produkte im Zusammenhang mit der Handlungsthematik einzelner Heftromanserien steht, gilt es an Fallbeispielen herauszuarbeiten. So ist die Anzeigenwerbung in erotischen Zeitschriften bspw. stark ausgerichtet auf Potenzmittel und einschlägige Ratgeberliteratur. Inwiefern trifft dies auf Heftromanserien zu? Die Bewerbung von Konsumartikeln kann zugleich eine politische Konnotation aufweisen, wenn bspw. in einer Heftromanserie (hier Rolf Torring’s Abenteuer) in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg für das Produkt‚ ‚Steckenpferd Lilienmilch-Seife‘ für den Gebrauch in den Kolonien beworben, der Effekt einer besonders weißen Haut hervorgehoben wird. In den Vor- und Nachkriegsjahren etablieren sich vermehrt paratextuelle Elemente, die sich einerseits an die (meist jugendlichen) Leser*innen und deren Eltern richten, wenn bspw. für die Fremdenlegionärsromane wegen ihres spannenden Unterhaltungscharakters in Gestalt von Heftromanserien geworben wird, vor dem praktischen Eintritt in die Fremdenlegion jedoch offensiv gewarnt wird. Der ‚Schmutz- und Schundkampf‘, der hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Wirkkraft auf Heftroman-Verlage nicht zu unterschätzen ist, kann Einfluss auf Paratexten nehmen. Eine enge Verflechtung scheint auch zwischen den technischen Entwicklungen in der Druckindustrie und der Gestaltung von Heftromanserien/Heftromanen auf. Die Vermarktungsstrategien in den buchhändlerischen Nebenmärkten entwickelten sich seit 1900 innovativer und professioneller. Die Heftromane zirkulierten in einem ausdifferenzierten Distributionssystem, auf das die paratextuelle Umgebung einer Serie/eines Einzelheftes unmittelbar Bezug nahmen. Im Fokus die Gestaltung des Heftroman-Covers, das sich der neuen Verkaufssituation anpasste (Signalfarben, Preis, Erscheinungsturnus, etc.). Die Verkaufsstrategien der buchhändlerischen Nebenmärkte waren denen des traditionellen Buchhandels gemeinhin voraus, erst in Laufe der Weimarer Republik griff der Sortimentsbuchhandel sukzessive die innovativen Werbeideen auf, suchten sie im eigenen Geschäftsbereich umzusetzen. In den buchhändlerischen Nebenmärkten dominierten Experimentierfreudigkeit und - galt es auf die ‚Schmutz- und Schundgegner‘ Bezug zu nehmen - Witz, wenn bspw. ein Staatsanwalt, der sich dem ‚Schund- und Schmutzkampf‘ verpflichtet fühlt, dezidiert für einzelne Heftromanserien wirbt, deren pädagogische Eignung hervorstreicht - vermutlich eine verlegerische Finte. Es gilt die vielfältigen Funktionen des Paratextes am Beispiel des Medienformats ‚Heftroman‘ an Fallbeispielen darzustellen und die enge Verflechtung paratextueller Gestaltung mit dem besonderen Distributionssystem aufzuhellen.
Prof. Dr. Christine Haug, 2004 Habilitation am Institut für Buchwissenschaft (Universität Mainz) zum Thema "Reisen und Lesen im Zeitalter der Industrialisierung". Die Geschichte des Bahnhofs- und Verkehrsbuchhandels in Deutschland von seinen Anfängen um 1850 bis zum Ende der Weimarer Republik (= Schriften und Zeugnisse zur Buchgeschichte. Veröffentlichungen des Leipziger Arbeitskreises zur Geschichte des Buchwesens; Bd. 17), Wiesbaden 2007, seit 2006 Professorin für Buchwissenschaft an der LMU München, seit 2018 Sprecherin des 'Zentrum für Buchwissenschaft: ‚Buchforschung -Verlagswirtschaft - Digitale Medien' an der LMU. Forschungsschwerpunkte: Buch- und Verlagsforschung vom 18. bis 20. Jahrhundert, insbesondere Produktion und Distribution von populären Lesestoffen, Entstehung von buchhändlerischen Nebenmärkten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts (bspw. Eisenbahn-, Kiosk- und Warenhausbuchhandel). Aktuell Vorbereitung eines Forschungsvorhabens zum Thema "Der deutsche Heftroman 1900 bis 2023" (Planung einer DFG-Forschungsgruppe u.a. in Kooperation mit Prof. Dr. Fotis Janndis, Universität Würzburg).
Verlegerische Peritexte im wissenschaftlichen Taschenbuch zwischen 1955 und 1980
Der wichtigste Paratext des wissenschaftlichen Textes ist die Buchreihe. Sie erzeugt Nachbarschaften wissenschaftlicher Texte in symbolischer und in materieller Hinsicht. Damit konturiert sie den wissenschaftlichen Einzeltext parergonal in Beziehung zum Buchmarkt wie zum Hochschulsystem. Der Vortrag wird die Implikationen dieser Konstruktion von (zeitweilig sogar populärer) Serialität im Bereich des Wissenschaftsbuches vor allem am Beispiel des verlegerischen Peritextes diskutieren: der produktionsgemeinschaftlichen Gestaltung von Umschlag, Titel, Impressum und Schlussanzeigen im wissenschaftlichen Taschenbuch zwischen 1955 und 1980.
Jörg Döring lehrt als Univ.-Prof. für Neuere deutsche Philologie, Medien- und Kulturwissenschaft an der Universität Siegen. Er ist Co-Sprecher des SFB 1472 "Transformationen des Populären" und leitet gemeinsam mit Prof. Dr. Ute Schneider (Buchwissenschaft, Uni Mainz) das Teilprojekt: "Wissenschaft im bundesrepublikanischen Taschenbuch 1955-80"
„Ich bin es, den ich darstelle“. Zur Funktion von Epitexten bei Max Frisch
Dass Autobiografisches für das Œuvre von Max Frisch eine wichtige Rolle spielt, wird in der Forschung häufig betont. Der Beitrag zeigt an ausgewählten Beispielen, wie die Verbindung zwischen literarischem Text und seinem Verfasser hergestellt wird. Dabei geht er erstens und in expliziter Erweiterung der Genette’schen Begrifflichkeit davon aus, dass auktoriale Epitexte generisch dazu prädestiniert sind, ein Junktim zwischen einem künstlerischen Werk und der Persona ihres Urhebers zu stiften. Und dass zweitens die anhaltende Popularität von Max Frisch nicht zuletzt auf einer Vielzahl unterschiedlicher Epitexte basiert, deren Spektrum von verschiedenen autobiografischen Formen bis zu Briefen, Skizzen und Reden reicht, welche nicht selten bereits zu Lebzeiten auf eine Weise publiziert wurden, die sie zum Teil des Werks werden ließ. Bei all dem erzählt Frisch vor allem Autobiografisches und Biografisches (Faber, Stiller, Gantenbein) und popularisiert damit nicht zuletzt eine personenzentrierte Literaturgeschichte, oszillierend zwischen Text und Paratext.
Thomas Wegmann, Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Innsbruck. Studium der Germanistik, Philosophie und Anglistik in Essen, Dublin und Berlin. 2000 Promotion an der Freien Universität Berlin, 2007 Habilitation an der Humboldt-Universität zu Berlin mit der Arbeit Dichtung und Warenzeichen. Reklame im literarischen Feld 1850-2000. Gastprofessuren an der Cornell University, der University of Virginia sowie an den Universitäten Greifswald und Kiel. Diverse Veröffentlichungen und Projekte zu Para- und Epitexten, arbeitet zzt. jedoch an einer Imaginationsgeschichte des Wohnens.
Pasolini para-/subtextuel (Appunti per un'Orestiade africana, Appunti per un film sull’India)
Pasolinis filmische Fernseharbeiten „appunti“ (Anmerkungen) stellen den Ausgangspunkt für eine Befragung der „Nebenschauplätze“ dar. Was wird an den Rändern, im Vorraum, der skené, verhandelt? Die appunti sind Vorarbeiten für ein von Pasolini geplantes, aber nicht verwirklichtes Filmprojekt Appunti per un poema sul Terzo Mondo, das insgesamt vier Teile haben sollte, um Italien in den Globalen Süden zu verlängern (Indien, Arabien, Lateinamerika, schwarzen Ghettos). Sie liegen damit wie jeder Paratext im Bereich des Möglichen, des Übergangs, der Schwelle. Was begründet dieser Vor-Ort? Und wie kann die parafilmische Form zu Konzepten in Bezug gesetzt werden, die die Ränder (der Gesellschaft) in den Blick nehmen, wie Subalterne und Peripherie?
Cornelia Wild, Professorin für Romanische Literatur-und Kulturwissenschaft, insbesondere Theorie und Ästhetik an der Universität Siegen. Forschungsschwerpunkte: Poetik und Ästhetik, Materialitäten und Ökonomien der Literatur, Schreibszenen, Geschlechterdiskurs, Popularisierung, Lyrik und Roman, Film, Literatur des Mittelalters und der Moderne, Dolce stil novo, Französische Klassik, Realismus und Neorealismus. Publikationen u.a. Passantinnen. Theorie des Vorübergehens von Dante bis Joyce, Zürich/Berlin: Diaphanes 2018; Flaubert et la scène de l’écriture (Hg.), lendemains 4 (2022).
Paratexte der Literaturvermittlung
Mit dem Bezug auf das Konzept der ‚Literaturvermittlung‘ untersucht der Vortrag einen spezifischen Aspekt der Popularisierung von Literatur. Anhand eines audioliteralen Exempels sondiert er die medien- und texttheoretischen, auf das Engste mit dem Einsatz von Paratexten verknüpften Implikationen des Begriffs. Wenn der Erzählbuchverlag auf der Verlagshomepage sein Programm mit den Worten zusammenfasst: „Die großen Romane und Dramen – frei erzählt“, legt er es nahe, die Publikationen als Nacherzählungen, Adaptionen und Paratexte – mehr noch: als Epitexte – weltliterarischer Werke aufzufassen. Vor dem Hintergrund dieser Konstellation versucht der Vortrag die Kategorie der ‚Literaturvermittlung‘ daraufhin zu prüfen, ob sie zur Analyse literarischer Operationen herangezogen und als literaturkonstitutives Konzept redefiert werden kann. Wenn Texte der Weltliteratur im Audioformat nacherzählt und im Zuge dessen einer Umschrift unterzogen werden, für die eine eigene verlegerische Plattform eingerichtet wird, dann ist damit nicht nur ein Bündel unterschiedlicher, literaturwissenschaftlich bedeutsamer Operationen angesprochen – das Verlegen, Übersetzen, Verfassen, Einsprechen, Digitalisieren etc. –, sondern tritt auch die vielschichtige paratextuelle Organisation des unternehmerisch und ästhetisch zu beschreibenden Projekts zutage. Im Fokus steht dabei die Struktur, die die Beziehung zwischen dem nacherzählten Referenztext und der Nacherzählung bestimmt. Inwiefern hier von Text/Epitext-Relationen auszugehen ist und in welcher Weise sie es ermöglichen, die Dynamik der Literaturvermittlung als einen Prozess zu erfassen, der Literatur nicht nur kommentiert und erläutert, sondern selbst hervorbringt, soll der Vortrag exemplarisch erörtern.
Natalie Binczek ist Professorin für Neugermanistik, insbes. Theorie und Geschichte literarischer Kommunikation und ihrer Medien an der Ruhr-Universität Bochum. Sie forscht u.a. zu Fragen der Medientheorie und -geschichte der Literatur. Weitere Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich akustischer Formen der Literatur. Publikationen u.a. Im Medium der Schrift. Zum dekonstruktiven Anteil in der Systemtheorie Niklas Luhmanns, München 2007; Handbuch Medien der Literatur, Berlin/Boston 2013 (Mithg.); Das Diktat. Phono-graphische Verfahren der Aufschreibung, Paderborn 2015 (Mithg.) Handbuch Literatur & Audiokultur, Berlin/Boston 2020 (Mithg.).
Paratext: Sticker
Der Vortrag beschäftigt sich mit Aufkleber/Stickern, die als sich als paratextuelles Element vornehmlich auf Buchcovern finden. Die Kennzeichnung als ‚Bestseller‘, ‚Vom Bestseller-Autor‘ und weiteren stellt die bereits erlangte Popularität eines Artefaktes deutlich und für alle sichtbar aus. Dennoch ist es nicht genuiner, oder originaler Bestandteil des Peritextes eines Buches, sondern kommt in vielen Fällen erst nachträglich hinzu. Im Vortrag wird versucht einerseits eine Typologie von Stickern und Badges zu erstellen und anderseits diejenigen Praktiken und Akteure in den Blick zu nehmen, die an dieser Popularisierung zweiter Ordnung zu beobachten sind. Denn eines steht fest: hier wird bereits erlangte Beachtung gemessen und zugleich ausgestellt. Fester Bestandteil des Paratextes sind diese Popularitätsmarker indes nicht, es handelt sich somit um fluide Paratexte mit einem eigenen Stellenwerk innerhalb des Werk-Kontext-Gefüges.
Michael Multhammer ist Universitätsprofessor für Neuere deutsche Literatur: Poetik und Pragmatik literarischer Kommunikation an der Universität Siegen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Literatur-, Kultur- und Philosophiegeschichte der Frühen Neuzeit. Diese betreffen insbesondere das frühneuzeitliche Gattungsspektrum, die Gelehrsamkeitsgeschichte sowie buchgeschichtliche Fragestellungen. Ein weiterer Schwerpunkt ist das Werk Gotthold Ephraim Lessings. Er ist PI im Siegener Sonderforschungsbereich ‚Transformationen des Populären‘. Dort leitet er das Teilprojekt ‚Das Populäre der Anderen. Das Vulgäre zwischen Normativität und Zuschreibung‘.
Wenn das Buch zum Beiwerk wird. Zum Phänomen des Debattenromans
In einigen Klappentexten, Blurbs, Rezensionen oder Interviews ist derzeit eine „Beweislastumkehr“ (Döring et al. 2021) zu beobachten: da Gegenwartsliteratur angesichts quantitativ messbarer Beachtungserfolge begründungsbedürftiger wird, übernehmen Paratexte vermehrt außerliterarische Valorisierungskriterien, um eine Anschlusskommunikation in Zeiten schwindender Popularität zu ermöglichen. Dadurch verschiebt sich, so die Annahme, die Pragmatik der Paratexte. Die Steuerung der literarischen Kommunikation folgt zwar nach wie vor der Logik eines „heteronomen Hilfsdiskurses“ (Genette 1989), der Interpretationsangebote und Sinnzusammenhänge offeriert. Doch der Paratext steht weniger im Dienst des Textes, er dient nicht dem angemessenen, besseren Verstehen, sondern der Paratext rechtfertigt die Daseinsberechtigung des Textes. Die gewachsene Unsicherheit, ob ein Buch von vielen Beachtung erfahren wird, löst in der paratextuellen Ökonomie einen „Zwang zur Rechtfertigung“ (Boltanski/Thévenot 2007) aus, der über heteronome Wertigkeiten die Existenzberechtigung des Buches plausibilisiert.
Dr. Carolin Amlinger ist Postdoc-Assistentin am Departement Sprach- und Literaturwissenschaften der Universität Basel.
The Paratextual Politics of Digital Platforms: Negotiating Superhero Violence
This talk mobilizes Genette’s definition of the paratext as “a zone between text and off-text, a zone not only of transition but also of transaction” (1997, 1–2), to study popular serial narrative, where the paratext constitutes an integral part of the storytelling by providing space for political discourse about and beyond the serial text. The talk will expand notions of the paratext to the realm of contemporary digital culture, where social media and online platforms produce new paratextual forms and functions through which popular serial narratives can attract the attention and enlist the engagement of large and heterogenous audiences. Choosing a popular Marvel Subreddit thread about the depiction of violence in an episode of the Disney+ series The Falcon and the Winter Soldier (2021) as a case study, I will argue that such threads contribute to the paratextual politics of digital platforms, which act not only as transactional spaces between serial text and paratextual commentary but also utilize the digital affordances of the platform to debate, often vigorously, the series’ involvement in current identity politics.
Daniel Steinist Professor für Nordamerikanische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Siegen. Zu den wichtigsten Publikationen gehören die Monografien Music Is My Life: Louis Armstrong, Autobiography, and American Jazz (University of Michigan Press, 2012) und Authorizing Superhero Comics: On the Evolution of a Popular Serial Genre (Ohio State University Press, 2021) sowie zahlreiche Sammelbände u.a. zu Comics und Grafischer Literatur, diasporischen Erzählungen und Diskursen über Krankheit und Vertreibung. Er ist Mitherausgeber von Anglia: Journal of English Philology und der Anglia Book Series, PI des DFG-geförderten Projekts „Serial Circulation: The German-American City Mystery Novel and the Beginnings of Transatlantic Modernity (1850-1855)“, und PI im SFB 1472 Transformationen des Populären (A01: „The Serial Politics of Pop Aesthetics: Superhelden-Comics und Wissenschaft“). Er ist Mitherausgeber des Themenhefts New Perspectives on Pop Culture (Arts, 2023) und arbeitet derzeit an einer Monographie mit dem Titel Strange Fruit and Bitter Roots: Black History in Contemporary Graphic Narrative (unter Vertrag bei University Press of Mississippi).
Paratext praxeologisch – am Beispiel des Online-Kommentars
Paratext praxeologisch – am Beispiel des Online-Kommentars
Der Vortrag versteht Paratexte nicht selbst als Sorte, sondern als einen Modus der Sortierung, und zwar als einen konstitutiv kontroversen. Mit dem Begriff des Paratexts wird eine messy area ausgezeichnet, in der Kontroversen darüber entfaltet werden, zum Text gehört und was nicht. An diesen Ordnungspraktiken nehmen Autor:innen und ihre Netzwerke teil, Materialitäten, Öffentlichkeiten und nicht zuletzt auch Wissenschaft – insbesondere in Form der Paratextforschung. Letztere hat in den vergangenen Jahrzehnten insofern an der Unterscheidung, was zum Text gehört stark mitgearbeitet; dies in der Regel mit dem Ergebnis, dass noch mehr dazugehört.
Für diese philologischen Inklusionsakte gab und gibt es gute Gründe. Der Vortrag versteht sie aber Teile des größeren Bündels von Praktiken des sorting texts in (or out). Genettes Paratexte wäre in diesem Sortierungsprozess ein zentraler Akteur, weil er die „praktische Logik“ dieses Prozesses erklärt hat. Am Beispiel der Online-Kommentare wird demonstriert, welchen analytischen Wert ein praxeologisches Verständnis des Paratextbegriffs hat.
Johannes Paßmann ist Junior-Professor für Geschichte und Theorie sozialer Medien und Plattformen am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Vorher war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Siegen. Im SFB 1472 leitet er das Teilprojekt B03 „Historische Technografie des Online-Kommentars“.
Sort by Popularity. letterboxd als Paratextmaschine
Die 2011 als Website spezifisch für »film lovers« gegründete Plattform letterboxd erfreut sich kontinuierlich steigender Popularität – als Instrument für die Verwaltung von Watchlist und Diary, Datenbank für die Filmrecherche, Sammlung von Reviews und soziales Netzwerk. An der Schnittstelle dieser Funktionen wird letterboxd zu einer ›Paratextmaschine‹: Nicht nur bündelt sie paratextuelle Informationen zu einzelnen Filmen, auch produziert sie immer mehr Epitext. Einer der wichtigsten Parameter dieser Paratextmaschine ist die Popularität: Bereits auf der Startseite werden aktuell besonders populäre Filme präsentiert und Film(listen) lassen sich nach Popularität sortieren.
Der Vortrag geht den Faktoren dieser Popularität, die von letterboxd nicht offengelegt werden, und dem Verhältnis zum Algorithmus sowie den Dynamiken nach, die algorithmische Popularität reproduzieren oder unterlaufen. Gefragt wird zudem, welche ›klassischen‹ und welche (womöglich) neuen Paratexte des Films auf letterboxd besonders populär gemacht werden. Außerdem erörtert der Beitrag, inwiefern letterboxd als ›populär‹ in einem egalitären Sinne gelten kann und wie das mit der Popularität der Plattform zusammenhängt.
Judith Niehaus hat nach einem Studium der Germanistik, Philosophie und Mathematik mit einer Arbeit über Verfremdete Schrift (Wallstein 2023) an der Universität Hamburg promoviert und ist derzeit Postdoktorandin im DFG-Graduiertenkolleg 2291 »Gegenwart/Literatur. Geschichte, Theorie und Praxeologie eines Verhältnisses« an der Universität Bonn.
Digitale / serielle Paratexte. Die Perry Rhodan-Heftromanserie und das Perry Rhodan-Forum
Die Beschäftigung mit der langlaufenden Perry Rhodan-Heftromanserie nötigt zu Erweiterungen der Paratext-Theorie über das einzelne „Werk“ hinaus. Serielle Peritexte (wie etwa Briefe und Kommentare der Leserinnen und Leser) lassen sich von Heft zu Heft nur deshalb beobachten, weil und solange die Serien populär sind. Dies gilt auch für die Epitexte der Serie, die etwa im digitalen Fanforum einen Ort finden: Das Forum ist eine digitale Plattform, auf der verschiedene Parameter die Popularität und das Tempo, mit dem Beachtung gewonnen wird, permanent indizieren. Aus diesen Daten lassen sich Rückschlüsse ziehen auf die Wahrscheinlichkeit, dass ein Thread Beachtung findet und auch Spuren in der Serie hinterlässt. Wie die Serie über Zyklen hinweg fortgesetzt wird und dabei ihre eigene Vergangenheit variiert und wiederholt, vergisst und neu erfindet, lässt sich weitaus besser verstehen, wenn die Peritexte und Epitexte der Serie und die paratextuellen Informationen über die Popularität der Serie und der Kommentare zur Analyse hinzugezogen werden.
Die Erweiterung der Paratext-Forschung durch Begriffe digitaler und serieller Peri- und Epitexte sind womöglich nicht nur für die Heftroman-Forschung aussichtsreich, sondern auch für andere Textformen, die sich dem Autor/Buch/Werk-Paradigma nicht subsumieren lassen.
Kickstarting Textuality: Popular Media’s Anticipatory Pleasures and Economics
This talk considers the central role of Kickstarter campaigns in board games’ lives, before widening the scope to consider anticipatory pleasures and economics of popular media more broadly. Kickstarter and its various analogues have come to be extremely important in the vitality of the surging board game market. Early paratextual outposts, Kickstarter campaigns for a game may begin two years before release, and yet at that early date, buzz regularly generates and spills over into multiple other sites of board game distribution and reception. The audience thus comes together, much of a game’s profits may be decided, and audience capacity to impact texts is considerable, all long in advance of the text’s official release and genesis. But the talk will then propose that many paratexts for many other popular media, including film, television, and videogames, are also “kickstarters,” working to encircle texts – albeit to varying degrees of success – and offering audiences means of engaging the production, future, and becoming of the text before it properly exists.
Jonathan Gray is Hamel Family Distinguished Chair in Communication Arts at University of Wisconsin – Madison. He is author of Show Sold Separately: Promos, Spoilers, and Other Media Paratexts alongside multiple other books including Television Entertainment, Television Goes to the Movies (with Derek Johnson), and Dislike-Minded: Media, Audiences, and the Dynamics of Taste. He is also co-editor of collections including Fandom: Identities and Communities in a Mediated World and The Companion to Media Authorship.
Metrics of popularity and taste: the codification and illocutionary force of the paratext in bibliographic databases
The paratext found as metadata in catalogues is a quintessential tool in Library and Information Science (LIS). Scholarly bibliographic databases such as Clarivate’s Web of Science and Elsevier’s Scopus contain authorial paratext (titles and abstracts, but also author keywords) and very strong editorial paratext (through design, search functions, and indexing). Since their inception, they have paved the way for a new subfield of LIS, bibliometrics, which, among other things, studies what can be called scientific popularity, through citation counts and journal rankings. In public libraries, other types of bibliographic databases, like EBSCO’s NoveList Plus, support various services such as reader’s advisory (RA), which involves suggesting titles to a reader. RA has yielded new epitextual vocabularies aimed at describing the reading experience through various aspects of the book called appeal elements. By using paratext to make suggestions, these tools also play on popularity—here for mainstream users looking for their next good read. Using concrete examples, this presentation will demonstrate how databases with strong conceptual paratext prove immensely useful in answering the question, “Popular where?” and therefore contribute to writing the history of the respective fields they aim to serve.
Nadine Desrochers is an Associate Professor at the School of Library and Information Science at the Université de Montréal. She holds an MLIS from Western University and a PhD in French Literature from the University of Ottawa. Her research examines the paratext and perceptions surrounding cultural products (both in print and online), readers’ advisory, and the information-seeking habits of creators. Her work has been published in JASIST, PLOS One, and Studies in Book Culture, among others. She is also the co-editor of the collective book Examining Paratextual Theory and its Applications in Digital Culture (with Daniel Apollon).
Constance Poitras is a second-year Ph.D. student at the School of Library and Information Studies at the Université de Montréal. She also holds a Master’s degree in Library and Information Science and has published her research in Scientometrics. She is a student member of the Centre interuniversitaire de recherche sur la science et la technologie (CIRST). Her main academic interests centre around researchers’ career strategies and the role of disciplines in academia.
Hermeneutik des Verdachts: Politische Zonen der Paratextualität und Popularisierung wachsamer Lektüre um 1830
Der Vortrag widmet sich der Frage, wie um 1830 die Paratextualität der Buchpublikation genutzt wurde, um einen neuen wachsamen Lektüremodus literarischer Werke zu popularisieren: die Hermeneutik des Verdachts. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf der populären Prosa Heinrich Heines liegen, der als einer der großen literarischen und politischen Virtuosen paratextueller Kommunikation gelten darf.
Carlos Spoerhase ist Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er studierte Deutsche Literatur, Philosophie sowie Politische Theorie und Ideengeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Spoerhase hatte Fellowships und Gastprofessuren u.a. am King’s College London, an der Johns Hopkins University, an der University of Pennsylvania und an der Princeton University inne. Gegenwärtig ist er Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Zuletzt publizierte er das gemeinsam mit Steffen Martus verfasste Buch Geistesarbeit: Eine Praxeologie der Geisteswissenschaften, Berlin 2022, 2. Aufl. 2023.
Diskutant*innen
Dr. Charlotte Coch ist Literaturwissenschaftlerin am IDSL I der Universität Köln. Im Januar 2021 erschien ihre Dissertation Lektüre als Form. Das absolute Buch bei Friedrich Schlegel, Walter Benjamin und Niklas Luhmann bei transcript. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Buchkultur und -materialität, der Formästhetik sowie den Überschneidungen von Literatur und Gesellschaftstheorie.
Ben Dammers ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe „Literatur – Bild – Medium“ am Institut für deutsche Sprache und Literatur II der Universität zu Köln. In Kürze erscheint seine Dissertation zur Theorie und Rezeption von Bilderbuchperipherien. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Didaktik des Bilderbuchs, Materialität und Räumlichkeit von (multimodaler) Literatur und Paratextualität.
Theodor Frisorger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Forschungsprojekt »Frühgeschichte des Making-of-Films. Produktionskulturen des Kinos in Drehberichten des westdeutschen Fernsehens« an der Universität zu Köln. Daneben ist er Doktorand an der Ruhr-Universität Bochum, wo er seit 2019 seine Dissertation mit dem Arbeitstitel »LIFE am Set. Produktionsfotografien und die visuelle Kultur der Filmarbeit« verfasst. Zu seinen weiteren Arbeitsschwerpunkten gehören u.a. Filmgeschichte als Institutionengeschichte, Paratexte des Films und Medienkulturen der Berühmtheit.
Vanessa Grömmke, M.A.- seit Juli 2022 wissenschaftliche Mitarbeiterin im SFB 1567 „Virtuelle Lebenswelten“, TP D01 „Virtuelle Streitwelten: Foren und Tribunalisierungsdynamiken“- seit März 2022 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf - Arbeitstitel des Dissertationsprojekts: „Finding Your Voice“. Selbstdokumentation und Autofiktion in der Gegenwartsliteratur und sozialen Medien- Forschungsschwerpunkte: Autofiktion und Selbstdokumentation, Hate Speech, Social-Media-Literatur, Gegenwartsliteratur
Thomas Heintz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department für Wissenschaftskommunikation des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), wo er zum Thema „Vorführästhetik. Die ästhetische Innovation der Reality TV Show und ihre transmediale Strukturparallele zur Literatur“ promoviert. Er studierte Deutsch und Geographie auf Lehramt ebenfalls am KIT.
Ronald Röttel, geb. 1989, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsche Sprache und Literatur I der Universität zu Köln. Zu seinen Forschungsinteressen gehören populäre Zeitschriften, postdigitale Medienästhetiken sowie Literatur und Typografie.
Dr. Franziska Wilke, geb. 1986, studierte Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften sowie British and American Studies an der Universität Konstanz und später Literatur, Philosophie und Ästhetik an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Hier schloss sie 2021 als Stipendiatin ihre Promotion ab und arbeitet nun am Lehrstuhl Literaturwissenschaften Osteuropa als wissenschaftliche Mitarbeiterin. 2022 erschien „Digital Lesen. Wandel und Kontinuität einer literarischen Praktik“ bei transcript. Sie forscht und lehrt mit den Schwerpunkten Lesepraktiken, Narratologie, Transmedialität und DDR-Literatur.
Dr. Jana Zündel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin (Postdoc) am DFG-Graduiertenkolleg „Konfigurationen des Films“ an der Goethe-Universität Frankfurt. Studium der Medienwissenschaft in Weimar (2008-2011) und Bonn (2012-2015). Masterarbeit veröffentlicht als An den Drehschrauben filmischer Spannung (ibidem-Verlag 2016). Abgeschlossene Dissertation zum Thema „Randerscheinungen der Fernsehserie als Indikatoren eines medienkulturellen Wandels“ (2021). Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Medienwissenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (2017–2021) und Stipendiatin im strukturierten Promotionsprogramm der Philosophischen Fakultät (2018–2021); ihre Schwerpunkte in Lehre und Forschung liegen im Bereich Filmanalyse und Filmgeschichte, Fernsehwissenschaft und Serienforschung, Meme Studies, digitale Medien- und Rezeptionskulturen.
Dr. Lena Hintze arbeitet am Berliner Literaturhaus Lettrétage. 2020 erschien ihre Dissertation „Werk ist Weltform. Rainald Goetz’ Buchkomplex HEUTE MORGEN". Bis September 2022 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Exzellenzcluster „Temporal Communities. Doing Literature in a Global Perspective“ an der Freien Universität Berlin mit einem Forschungsschwerpunkt zu Autor*innenlesungen und Medien der Literatur.