Forschung zwischen Popularität und Reputation: Risiken der Wissenschaftskommunikation (Teil 1)
[Dieser Beitrag in der Reihe „Populäre Expertise“ erscheint parallel auf dem KWI-Blog und auf dem Blog des SFB 1472 „Transformationen des Populären“.]
Gerade sind in den Naturwissenschaften wieder einmal Nobelpreise verliehen worden, auch an deutsche Forscher wie den Klimamodellierer Klaus Hasselmann. Die Publicity, die mit solchen Preisverleihungen verbunden sind, ist enorm, und die Leitungen der wissenschaftlichen Einrichtungen schmücken sich genauso gerne mit ihren derart ausgezeichneten Mitgliedern wie die Ministerinnen und Minister, die das Geld für ihre Forschungen bereitgestellt haben. Die Reputation der Forschenden führt via Nobelpreis auch zu hoher Popularität, und die große Beachtung der Preisträgerïnnen durch die Öffentlichkeit färbt gleichsam ab auf die Reputation der Einrichtungen, an denen sie geforscht haben, ja sogar auf die Länder, in denen diese Forschungseinrichtungen ihren Sitz haben – sonst wäre die Nationalität der Nobelpreisträgerïnnen ja auch völlig gleichgültig. Popularität und Reputation stärken sich gegenseitig, ein Traumfall für die Wissenschaftskommunikation, die Forschung sichtbarer machen, in die Öffentlichkeit transportieren und für Begeisterung und Unterstützung sorgen will. Ein Traumfall, aber nicht ohne Risiken.
In einem Kommentar auf der Titelseite der FAZ vom 11.10.2021 hält Joachim Müller-Jung zum Verhältnis von öffentlicher Aufmerksamkeit und Forschung fest:
„Zwar hat die Öffentlichkeit in der Krise so viele Berührungen mit dem Forschungsbetrieb gehabt wie nie zuvor. Aber der öffentliche, engagierte Experte genießt nicht immer das größte Vertrauen bei Geldgebern und Politik. Aus dem Klima-Nobelpreis wäre da einiges zu lernen.“1
Zu lernen sei beispielsweise, dass aus Hasselmanns Forschungen, die bereits vor vierzig Jahren die „Plausibilität des menschengemachten Klimawandels mathematisch“ belegen, viel früher politische Konsequenzen zu ziehen gewesen wären. Stattdessen habe sein politisch unerwünschtes öffentliches Engagement dazu geführt, dass er „später um die für seine Klimamodelle nötigen Computerressourcen regelrecht feilschen“ musste. Die öffentliche Beachtung war offenbar riskant. Wissenschaftskommunikation im Sinne der Erzeugung einer öffentlichen Sichtbarkeit von Forschung und eines öffentlichen Werbens für die Berücksichtigung ihrer Implikationen kann also die Möglichkeiten dieser Forschung gefährden – nicht etwa deshalb, weil die Forschung nicht plausibel, die Erkenntnisse falsch, die Schlussfolgerungen spekulativ wären, sondern weil die Konsequenzen politisch unerwünscht ausfallen und große öffentliche Beachtung für das Thema nicht willkommen ist. So sehr es im Jargon der Wissenschaftspolitik „Leuchttürme“ gibt, die von allen beachtet werden sollen, so sehr gibt es offenbar auch schattige Souterrains, deren Beachtung unwillkommen wäre. Nuklearphysikerïnnen werden je nach politischer Konjunktur auch einmal eher in der zweiten Reihe gehalten.
Zu lernen wäre aber viel grundsätzlicher auch, dass die öffentliche Beachtung, die für Forschung geweckt wird, Konsequenzen zeitigt, die für diese Forschung nicht vorherzusehen sind. Der „öffentliche, engagierte Experte“ mag große Beachtung gefunden haben, hat aber deshalb noch lange nicht das nötige „Vertrauen“ für seine Expertise gefunden. Und man müsste auch umgekehrt sagen: Wenn jemand „das größte Vertrauen bei Geldgebern und Politik“ genießt, ist es alles andere als ausgemacht, dass dieses Vertrauen (allein und überhaupt) durch qualifizierte Forschung gedeckt ist und nicht vielmehr durch andere, nicht-wissenschaftliche Rücksichten und Interessen. Wissenschaftsfinanzierung ist immer auch regionale Strukturpolitik, und die kann mit der Wissenschaftskommunikation gemeinsame Interessen teilen – oder auch nicht teilen.
Große öffentliche Resonanz und große politische Zustimmung (Vertrauen) mag zu (auch hochverdienten) Auszeichnungen und Fördermaßnahmen führen, lässt aber nicht mit Sicherheit auf wissenschaftliche Stichhaltigkeit schließen. Popularität und Beliebtheit des „Experten“ bergen das Risiko, gerade im Falle einer politischen und öffentlichen Erwünschtheit der Expertise, den „Forschungsbetrieb“ sachfremd auszurichten, etwa am Wünschenswerten und nicht an einer qualifizierten Forschungsagenda. Und selbst wenn die Forschung allen Zweifeln standhält und die wissenschaftliche Reputation des „Experten“ makellos ist, dann birgt gerade das öffentlich gezeigte „Vertrauen bei Geldgebern und Politik“ das Risiko des Vorwurfs, die Forschungsagenda sei parteipolitisch ausgerichtet und die Ergebnisse seien daher anzuzweifeln. Nicht nur derjenige, der um Computerressourcen feilschen muss, sondern auch diejenigen, denen die öffentliche Hand reiche Mittel zur Verfügung stellt, haben es mit dem Problem zu tun, dass Popularität und Reputation in der Wissenschaftskommunikation zu Antagonisten werden können, sich also nicht, wie häufig, gegenseitig verstärken, sondern wechselseitig unterminieren. Auf Popularität zu setzen, um die Reputation zu erhöhen, kann genauso riskant sein wie die Hoffnung, hohe Reputation lasse sich gefahrlos in Popularität ummünzen. Mit diesen Risiken wird man zumal dann konfrontiert, wenn von den Forschenden nicht nur Forschungsergebnisse verlangt werden, sondern auch „Sichtbarkeit“.
Wenn in Wissenschaftsorganisationen von „Sichtbarkeit“ die Rede ist, und dies ist immer häufiger auf allen Ebenen von der Hochschulrektorenkonferenz bis zur Deutschen Forschungsgemeinschaft, von der Leopoldina bis hin zu meiner Universität, der Universität Siegen, der Fall, dann kann zweierlei gemeint sein:
- Beachtung von vielen zu erhalten, möglichst international oder global. Diese Sichtbarkeit zielt auf die Beachtung, die eine Institution und ihre Mitglieder in der Öffentlichkeit finden. Dies kann gemessen werden, indem beispielsweise gezählt wird, wie oft die entsprechenden Organisationen und ihre Repräsentanten in Massenmedien oder sozialen Medien genannt werden. Sichtbarkeit bedeutet hier Popularität. Sie ist quantifizierbar und in Rankings zu überführen. Man kann also wissen, wo eine Institution oder Person im Vergleich mit anderen steht. Ein Beispiel für ein solches Ranking ist die Rangliste von „Deutschlands wichtigsten Ökonomen“, die am 16.9.2021 in der FAZ erschienen ist und auf quantitativen Daten basiert, etwa auf der Zahl der Erwähnungen in den Medien, der Zahl der Follower auf Twitter oder der Anzahl der Zitationen durch andere Ökonomen.
- Wissenschaftliche Beachtlichkeit, die einer Organisation, ihren Mitgliedern oder einzelnen Persönlichkeiten dadurch zukommt, dass ihre Beiträge zum Erkenntnisgewinn einer Disziplin oder eines Forschungsgebietes von hoher wissenschaftlicher Bedeutung beitragen. Auf die breite öffentliche Resonanz kommt es hier gar nicht an, sondern allein auf die „Exzellenz“ der geleisteten Forschung. Auch diese Exzellenz wird gemessen, indem beispielsweise die Zahl der Beiträge zu bedeutenden Fachzeitschriften mit Peer-Review gezählt werden oder die Höhe der kompetitiv eingeworbenen Drittmittel in Anschlag gebracht werden, deren Bewilligung ebenfalls ein anspruchsvolles Review des Forschungsvorhabens durch hochqualifizierte Vertreterïnnen des Fachs voraussetzen. Die wissenschaftlich exzellenten Vertreterïnnen der „Spitzenforschung“ sind nun aber nicht unbedingt sichtbar im Sinne häufiger Erwähnungen auf den social media-Plattformen, in den Qualitätszeitungen oder im Fernsehen. Selbst ein Nobelpreisträger wie Wolfgang Ketterle wird etwa in der FAZ oder auf Twitter kaum erwähnt. Der in der scientific community zählende h-index des Physikers beträgt 89, seine Forschungsbeiträge werden also gerade in hochgerankten Zeitschriften häufig zitiert. Derart sichtbar im Fach zu sein, geht zweifellos mit einer hohen fachlichen Reputation einher, nicht aber mit öffentlicher Resonanz und leuchtturmhafter visibility. Die Leuchttürme der Wissenschaft strahlen also gar nicht selbst, sondern leuchten sichtbar nur dann, wenn sie von außen angestrahlt werden.
Wissenschaftskommunikation zielt auf Beachtung in der „Öffentlichkeit“. Ihr Ziel ist „Sichtbarkeit“. Forschungsergebnisse und wissenschaftliche Hypothesen, Lehrmeinungen und Problematisierungen sollen nicht nur innerhalb eines Fachs, einer Disziplin oder eines interdisziplinären Forschungsfeldes beachtet werden und Berücksichtigung finden, sondern einem größeren Publikum vermittelt werden. Erfolgreich kann diese Wissenschaftskommunikation aber nur dann sein, wenn sie das, was über Zeitungen und Fernsehen, Radio und Blogs etc. „sichtbar“ gemacht werden soll, zuvor in eine Form gebracht wird, die ein breiteres Publikum überhaupt anspricht und die von fachlich nicht eingearbeiteten Laien verstanden werden kann. Die Wissenschaft muss also für die Wissenschaftskommunikation interessant gemacht werden, einen News-Wert erhalten, damit sich überhaupt Leute finden, die einen entsprechenden Artikel oder Beitrag zu einem Forschungsthema rezipieren; und dieser Artikel oder Beitrag muss gerade den wissenschaftlichen Gehalt der Sache, die das Forschungsthema ausmacht, soweit anreichern, dass Laien erreicht werden.
Wissenschaftskommunikation muss also popularisieren: vereinfachen und verpacken. Der wissenschaftliche Gehalt bekommt eine andere Form und wird auf einen anderen Komplexitätsgrad gebracht. Der Gewinn dieser Transformation von Wissenschaft in Wissenschaftskommunikation ist die Popularität von Einrichtungen und Personen, die dies (manchmal, nicht immer) zum Nutzen der Wissenschaften ummünzen können, etwa um für Wissenschaftsstandorte und ihre Finanzierung zu werben.
Das Risiko dieser Popularisierung besteht darin, dass die Wissenschaften über das, was die Wissenschaftskommunikation für die Laien vereinfacht und verpackt, keine Kontrolle mehr ausüben. Über die Anschlussfähigkeit entscheiden primär nicht wissenschaftliche Kriterien, sondern die Codes und constraints der Medien, die die Wissenschaftskommunikation nutzt. Um ein prominentes Beispiel zu geben: Christian Drosten hat häufiger die Erfahrung machen müssen, dass fachliche Aussagen von Forscherïnnen, die publik werden, „verballhornt“ werden und ein mediales Eigenleben führen.
Der Wunsch, dass diese “Verballhornungen“ nicht ohne weiteres verbreitet, kommentiert und zur „Irreführung“ verwendet, sondern auf ihre „Quellen“ überprüft würden, ist verständlich, übersieht allerdings die Eigentümlichkeit der Wissenschaftskommunikation, sich an Laien zu richten, die fachlich nicht in der Lage sein können, die „Glaubwürdigkeit von Nachrichten“ selbst zu überprüfen. Die Asymmetrie zwischen dem Experten und den Rezipientïnnen vermag selbst ein so vielgelobtes Projekt wie der Podcast Drostens nicht aufzuheben, was selbst ein ausgesprochener Fan dieses Vermittlungsversuches wie Eva Menasse nicht umhin kann zu bestätigen:
„Der Laie verliert schon mal den Faden, wenn Drosten in die Tiefen der Statistik oder des Immunsystems abtaucht. Aber es gibt unschätzbar viel zu lernen.“2
Für die Beiträge der Wissenschaftskommunikation gelten die Spielregeln der Massenmedien und der sozialen Medien. Die Art der medialen Anschlusskommunikation (darunter auch „Irreführung“, „Verballhornung“) kann vom Wissenschaftssystem nicht kontrolliert werden, da sie in der Umwelt der Wissenschaften stattfindet. Die Popularisierung folgt ihrer medialen Eigenlogik. Wenn jemand sehr gut im Verpacken und Vereinfachen ist, dann können Beiträge, deren wissenschaftlicher Gehalt den höchsten Ansprüchen der Peers nicht standhalten, gleichwohl höhere Resonanz erzielen als ein Beitrag, dessen wissenschaftlicher Kern höchste Beachtung verdienen würde, aber nicht interessant und anschlussfähig genug formuliert worden ist.
Niels Werber ist Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Siegen. Er ist Sprecher des DFG Sonderforschungsbereichs 1472 „Transformationen des Populären“ und Leiter des Teilprojekts A01 „Serienpolitik der Popästhetik: Superhero Comics und Science-Fiction-Heftromane“ (mit Daniel Stein)."
Anmerkungen
1 Joachim Müller-Jung, „Lohn der schöpferischen Elite“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.10.2021.
2 Eva Menasse, „Eine Form geistiger Rettung“, in: NZZ vom 27.02.2021.