Name-Dropping. Prätendierte oder inkommensurable Popularität (2022)
Eine Antwort auf: Michael Multhammer: Prätendierte Popularität als Popularitäts-Generator.
Populär ist, was von vielen beachtet wird. Wo Popularität zu verzeichnen ist, ist eine rezipierende Öffentlichkeit im Spiel. Wo Popularität prätendiert wird, ist dies zunächst nur scheinbar der Fall, was aber nicht bedeutet, dass sie nicht vielleicht die gleiche Sogkraft entwickelt wie verifizierte Popularität. Michael Multhammer geht der Frage nach, was wäre, „wenn nicht einmal tatsächliche Popularität von Nöten wäre, um erneute oder vermehrte Beachtungserfolge zu generieren, sondern prätendierte Popularität dafür genügen wurde?“ Benjamin von Stuckrad-Barre etwa, so Multhammer, verschaffte sich durch die Anlehnung an Oasis „das notwendige (Aufmerksamkeits-)Kapital, um selbst erste Beachtungserfolge zu erzielen.“
Ab den 1950er Jahren lässt sich Popularität leicht in Beachtungsmessungen quantifizieren und in Charts und Rankings abbilden (Döring et al. 2021). Da Popularität gemessen und somit sichtbar gemacht werden kann, dürfte prätendierte Popularität eigentlich keine relevante Kategorie mehr darstellen. Dazu Multhammer: „In dem Moment, wo Beachtungserfolge messbar und objektiv nachvollziehbar sind wie im Fall Kim Kardashians (hier kann man schlicht auf die Anzahl der Follower verweisen), kommt man sicherlich in schwierige Fahrwasser. Denn Überprüfbarkeit ist der Tod der Prätention. Dennoch soll nicht ausgeschlossen werden, dass ein solches Vorgehen erfolgreich auch unter den Bedingungen einer automatisierten Beachtungsmessung möglich sein kann und in Popzusammenhängen selbstredend gut gepflegte Praxis ist: In nicht wenigen Fällen ist die Pose eine Form prätendierter Popularität.“
Für die Beobachtung, dass prätendierte Popularität im Bereich der Pop-Literatur der 1990er Jahre eben doch ein wesentliches Instrument der Selbstinszenierung darstellt, durch das die Quantität der Popularität letztlich wieder in Qualität umschlägt, sei lediglich ein weiteres Beispiel hinzugefügt, das möglicherweise auch dazu verhilft, das Populäre und Pop zu differenzieren.
Überzeugende vorliegende Unterscheidungen gehen davon aus, dass es sich bei Pop um eine ästhetische Formgebung des Populären handelt. Pop verhält sich zunächst einmal zum Populären, indem es ihm eine spezifische ästhetische Form verleiht. Im Falle Andy Warhols wird ein populäres Bild von Marilyn Monroe zu einem Siebdruck-Kunstwerk. Anschließend geht der Siebdruck in Serie. Die anfängliche Fremdreferenz wendet sich in eine künstlerische, eine spektakuläre Selbstreferenz (Venus 2013; Werber 2016). Warhol kann in der Folge seinerseits in seiner Formensprache unendlich zitiert und variiert werden. Dennoch würde man nicht behaupten, der Siebdruck sei per se Pop. Pop lässt sich in ästhetischer Hinsicht essentialistisch letztlich nicht bestimmen.
Ähnlich wie Warhol haben sich die Pop-Literat:innen der zweiten Generation in den 1990er Jahren zu der sie umgebenden populären Kultur verhalten. Sie haben mit Marken-Dropping und Listenbildung Archive erstellt (Baßler 2002), die allerdings als literarische Texte funktionieren. Entstanden sind so fremd- wie selbstreferenzielle Kunstwerke. Die berühmte Barbour-Jacke aus Christian Krachts Roman Faserland ist schließlich Element eines eigenen künstlerischen Syntagmas, das ebenfalls zitiert und variiert werden kann. Nun weist Christian Kracht seinen Status als Pop-Literat aktuell weit von sich, und ein Blick auf seine letzten Texte muss bestätigen, dass er damit ausnahmsweise einmal eine ernste und zutreffende Selbstbeschreibung geliefert hat. Dennoch verliert er den Status als Pop-Literat nicht, weil sich die Pop-Literat:innen in den 1990er Jahren eben nicht nur qua einer auf die Pop-Kultur bezogenen Romanästhetik, sondern auch als Selbstkunstwerke und Stilgemeinschaften inszeniert haben (Venus 2013). Dies ist Teil der Kunst selbst geworden, sodass es nun schwer fällt, neue Kunstwerke und alte Pop-Literat:innen zu trennen.
Und hier kommt die prätendierte Popularität ins Spiel. Raphael Horzons Roman Das weisse Buch ist wesentlich der Behauptung gewidmet, keine Kunst zu sein (Horzon 2010). Ein Ich-Erzähler schildert in hyperbolischem, melodramatischem Stil sein Leben, das ein Roman sein könnte und das doch in weiten Teilen extern verifiziert werden kann. Die Schilderungen entsprechen zumindest Horzons anderweitigen medialen Inszenierungen. Schließlich ist auch Horzons Möbelgeschäft nachweislich ganz real und verkauft gewiss keine Kunst. Dafür wird aber im Roman hervorgehoben, wie außergewöhnlich, wichtig, talentiert, ja geradezu genial Horzon sei, auch wenn der Begriff des Genies im Text selbst als inflationär ausgewiesen wird. Zu dieser Selbsterhebung gehört es, außergewöhnliche, wichtige, talentierte, ja geradezu geniale anderen Personen zu kennen. Horzon macht vom Mittel des Name-Droppings regen Gebrauch, das genau diesem Zweck gewidmet ist. Unter anderen werden folgende prominente Personen erwähnt:
Christian Jankowski, Harald Szeemann (WB 23), Christof Schlingensief, Rainald Goetz, Alec Empire (WB 54), Christiane Rösinger (WB 56), Alfred Hilsberg (WB 56), Schorsch Kamerun, Jochen Distelmeyer, Daniel Richter, Rainald Goetz, Westbam (WB 58), Christian von Borries, Mateo Kries, Niklas Maak, Christian Kracht, Hans Ulrich Obrist (WB 59), Moritz von Uslar (WB 64), Björn Dahlem, Anselm Reyle, Thomas Zipp, Dirk Bell, Thilo Heinzmann, André Butzer, Björn Dahlem, Marten Frerichs, Guido Baudach (WB 96), Marcel Hüppauff (WB 107), Markus Selg (WB 108), Christoph de Babalon (WB 119), Ingo Niermann (WB 120), Dimitri Hegemann (WB 130), Dirk Bell (WB 132), Thilo von Wermke (WB 135), Boris Radczun (WB 145), Daniel Lieberberg (WB 147), Hans Löffler (WB 149), Conny Opper (WB 159), geballt auf einer Seite u.a. Oliver Barduhn, Martin Klosterfelde, Johann König, Niklas Maak, Peter Richter, Johanna von Rauch, Johanna Adorján, Rainald Goetz, Stephan Landwehr, Marc Hosemann, Mavie Hörbiger, Anne und Moritz von Oswald, Moritz von Uslar, Nicolette Krebitz, Ulf Poschardt, Cornelius Tittel „und noch etwa zweitausend weitere Galeristen, Journalisten und Genies“ (WB 165), Eckhart Nickel (WB 171), Ingo Niemann (WB 206), Martin Klosterfelde (WB 209), Hans Ulrich Obrist (WB 211).
Es sollte wohl deutlich geworden sein, in welchem Ausmaß sich der Text über Name-Dropping konstituiert und damit den gesellschaftlichen Status der Erzählerfigur unterstreicht. Innerhalb der Geschichte erringt der Erzähler einige reale und einige fingierte Beachtungserfolge (wobei in Bezug auf Das weisse Buch an dieser Stelle gar nicht erst der Versuch unternommen werden soll, die narrativen Ebenen oder narratologischen Kategorien sauber zu differenzieren). Teilweise dienen die genannten Personen/Figuren als Rezipient:innen und Katalysatoren dieses Erfolgs; teilweise werden die Bekanntschaften eher als dessen Folge beschrieben.
Wenn der Erzähler etwa schildert, wie er mit Christian Kracht Regale ausliefert und dabei Seemannslieder singt (WB 169), wird dadurch schon im Rahmen der Diegese nicht einfach nur eine Freundschaft beschrieben, sondern eine Freundschaft unter Prominenten. In der Diegese gibt es allerdings kein Publikum. Daher fungieren diese Passagen natürlich vor allem auf der metafiktionalen Ebene für uns Leser:innen als Ausweis von Wichtigkeit bzw. von Bekanntheit und Beliebtheit innerhalb einer bestimmten Gruppe bekannter und/oder beliebter Kulturschaffender, die eine Stilgemeinschaft bilden. Insofern ist Das weisse Buch auf jede nur erdenkliche Weise prätentiös, und es lebt vor allem von der behaupteten Popularität seines Erzählers.
Name-Dropping ist nicht ganz dasselbe wie das viel diskutierte Marken-Dropping in pop-literarischen Texten, auch wenn beides hyperrealistische Verfahren sind (Baßler 2019). Denn jeder Text kann eine Figur erfinden, die eine Barbour-Jacke trägt, und viele Texte können sogar auf reale Personen verweisen, die Barbour-Jacken tragen, aber in der semi-fiktiven und semi-fiktionalen Sphäre, in der Das weisse Buch anzusiedeln ist, kann nicht jeder Text glaubhaft die Freundschaft seiner Erzählerfigur mit dem populären Schriftsteller Christian Kracht inszenieren. Hier wird Popularität über Popularität hergestellt, und damit quasi parasitär an fremder Popularität partizipiert, was die eigene Popularität prätendiert. Der Witz ist aber, dass sich das wechselseitig einstellt, dass Raphael Horzon natürlich nicht niemand ist und gut und gerne wiederum als Referenzgröße für andere fungieren kann. In diesem Netz von Bekanntschaften unter bekannten Personen gehen die, dies ist nicht neu, Relevanz der Texte und der Status der Schreibenden eine untrennbare Allianz ein.
Inmitten eines quantitativen Paradigmas der Popularität suspendiert die prätendierte Popularität bewusst und spielerisch Messbarkeit. Die Behauptung muss reichen (obwohl sich auch quantitativ erhebliche Beachtungserfolge für Horzon ausmachen ließen). Ästhetische Qualitäten einer Gruppe (die genannten Personen sind cool, hip etc.) und Bekanntheit innerhalb dieser exklusiven Gruppe werden im pop-literarischen Bereich oder vielleicht gar prinzipiell in der Pop-Kultur aufeinander bezogen, während dagegen die populäre Kultur allein von der quantitativen Beachtung leben kann. Wo sich prätendierte Popularität jenseits der Zahl Geltung verschafft und möglicherweise weitere Beachtungserfolge generiert, wird Popularität als inkommensurable Größe inszeniert. In gewisser Weise transformiert sie sich dadurch in eine ästhetische Kategorie, denn Behauptung, Verweis, Inszenierung allein werden hier wirksam. Dies erlaubt eine weitere Differenzierung zwischen Pop und dem Populären, denn das Populäre stellt eine kommensurable reale Größe dar. Gleichzeitig markiert diese Inkommensurabilität die Fiktionalität eines Romans wie Das weisse Buch, das sich auch über Prätention der Messbarkeit entzieht und reale Parameter suspendiert .
Literatur
Baßler, Moritz: Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten. München 2002.
Baßler, Moritz: Katalog- und Montageverfahren. Sammeln und Generieren. In: Handbuch Pop & Literatur. Berlin u.a. 2019.
Döring, Jörg et al.: Was bei vielen Beachtung findet: Zu den Transformationen des Populären (2021).
Horzon, Raphael: Das weisse Buch. Berlin 2010.
Venus, Jochen: Die Erfahrung des Populären. Perspektiven einer kritischen Phänomenologie. In: Performativität und Medialität Populärer Kulturen. Theorien, Ästhetiken, Praktiken. Hrsg. von Marcus S. Kleiner und Thomas Wilke. Wiesbaden 2013, S. 49–73:
Werber, Niels: Die Ausnahme des Pop. In: LiLi 46/3 (2016), S. 321–332.