Repro­duk­tion, Popu­la­ri­sie­rung und Kritik. Spani­sche Kunst in der deut­schen Kunst­ge­schichte (2023)

Welche Werke spanischer Kunst kennen wir in Deutschland? Diejenigen aus hiesigen Museen oder auch solche, die sich im Ausland befinden? Welche Künstler:innen und Kunstwerke sind uns ein Begriff? Die ‚Meninas‘ von Diego Velázquez, die ‚Maja‘ von Francisco de Goya oder etwa Picassos ‚Guernica‘? Kennen wir sie im Original? – Eine wichtige Grundlage für die Kenntnis und Erforschung von Kunst im Allgemeinen sind fotomechanische Vervielfältigungstechniken, die Bilder in Form von Reproduktionen schon Ende des 19. Jahrhunderts verbreiten konnten. Auch heute kennen wir Kunst häufig in erster Linie durch Poster, Postkarten, Kataloge oder digitale Abbildungen.

Vom 17. November bis 18. Dezember 2022 präsentierte das Teilprojekt „Billige Bilder“ die Ausstellung „Spanische Kunst – deutsche Kunstgeschichte. Reproduktion, Popularisierung, Kritik“ in der Universitätsbibliothek Siegen, anhand derer gezeigt wurde, wie Kunst aus Spanien in Deutschland ‚sichtbar‘ wurde. Das Projekt wurde mit Studierenden der Fächer Kunst und Medienwissenschaft erarbeitet. Nach Präsentationen in den Jahren 2012 („Billige Bilder“) und 2016 („Lehrgut“) war dies die dritte Schau, die sich mit Kunstreproduktionen im frühen 20. Jahrhundert befasste.

Die Ausstellung thematisierte die Entdeckung spanischer Malerei in der deutschen Kunstgeschichte und Populärkultur um 1900. Lange Zeit war die Kunst Spaniens jenseits der Landesgrenzen wenig bekannt und wissenschaftlich kaum erforscht. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte ein Prozess der kunsthistorischen Kanonisierung ein. Eine wesentliche Rolle spielten dabei Innovationen im Bereich fotomechanischer Vervielfältigungstechniken. Die erschwinglich werdenden Reproduktionsverfahren machten Künstler wie Velázquez, Goya, Murillo und El Greco einem größeren Publikum auch außerhalb Spaniens bekannt. Um 1900 erschlossen Verlage mit fotografischen Kampagnen die Bestände des Prado in Madrid und konkurrierten miteinander in der kommerziellen Vermarktung der Motive.

Die Produktpalette war weit gefächert: Gemäldewiedergaben fanden sich in Büchern oder Mappenwerken, in Sammelalben oder Einzelblättern, auf Wandtellern oder Postkarten. Die verschiedenen Medien der Popularisierung spanischer Kunst wurden in der Siegener Ausstellung gezeigt und in verschiedenen Zusammenhängen kontextualisiert. So lag ein Schwerpunkt auf den Reproduktionstechniken: vom Stahl- und Holzstich über die Lithografie bis hin zu fotomechanischen Techniken wie der Fotogravüre, der Autotypie oder dem Dreifarbendruck. Die Entwicklung und Professionalisierung des Reproduktionsgewerbes konnte beispielhaft am Maler Bartolomé Esteban Murillo gezeigt werden, dessen liebliche Madonnenbilder und Genreszenen schon Mitte des 19. Jahrhunderts äußerst populär waren und massenweise als Wandschmuck dienten.

Besonders durch ein romantisches Interesse an der maurischen Vergangenheit Spaniens sowie durch vereinfachte Reisebedingungen rückte das Land im Laufe des 19. Jahrhunderts allmählich ins Blickfeld auch deutscher Schriftsteller. Es bildete sich ein von Stereotypen geprägtes „Genre Spanien“ heraus. Doch auch die Kunst des 17. Jahrhunderts wurde vor allem durch reisende Kunsthistoriker wie etwa Carl Justi entdeckt und in Form von kunst- und populärwissenschaftlichen Publikationen verbreitet. Die um 1900 einsetzende Popularisierung der Kunst Diego Velázquez‘ und El Grecos wurde durch deren Rezeption im Kontext des Impressionismus und der Avantgarde befördert. Besonders der deutsche Expressionismus sorgte für eine regelrechte El Greco-Mode, die von den einschlägigen Kunstverlagen aufgegriffen wurde. Diese ‚neue‘ Kunst Spaniens wurde durch Reproduktionen verbreitet.

Nicht nur die Kunstwissenschaft beschäftigte sich nach 1900 mit spanischer Kunst, auch das breite Publikum kam durch billige Bücher, Postkarten und Sammelalben, ja sogar durch künstlerisch dekorierte Sammelteller buchstäblich in Berührung mit den Werken spanischer Künstler und konnte eine persönliche und alltägliche Beziehung zu den Werken aufbauen. Um für viele attraktiv zu werden, mussten die Objekte zuerst einmal preiswert sein. Sammelbilder etwa wurden kostenlos den Produktverpackungen von Liebigs Fleisch-Extract beigefügt, Bildpostkarten kosteten ein paar Pfennige, und auch die Bände der Reihe Kleine Delphin-Kunstbücher waren schon zum Preis von nur einer Mark zu haben.

Die Sammelleidenschaft der Käuferschaft wurde nicht zuletzt durch die einheitliche Aufmachung der einzelnen, monografisch konzipierten Serientitel angespornt. Neben den Motiven selbst rückten die Charakteristika des persönlichen künstlerischen Stils in den Vordergrund. Diese traten unter anderem durch Details zu Tage, die man aus den Kunstwerken herauslöste und fotografisch reproduzierte. Zudem entschieden sich Verlage dazu, vermutlich besonders gut verkäufliche Motive zusätzlich in populären Farbendrucken herauszubringen. Dazu zählten vermeintlich typisch ‚spanische‘ Motive wie das Porträt der Infantin Margarita Teresa, das damals als Gemälde Velázquez‘ verbreitet wurde, heute allerdings als Werkstattarbeit von dessen Schüler Juan Bautista Martínez del Mazo gilt. Auch die glücklich dargestellten Bettelkinder Murillos wurden in zahlreichen Formaten und Reproduktionstechniken – gewissermaßen ‚für jeden Geldbeutel‘ – angeboten und waren besonders in Deutschland überaus beliebt.

Das 1819 eröffnete Museo del Prado mit seiner weltweit größten Sammlung spanischer Kunst kann als Zentrum des Handels mit Reproduktionen iberischer Künstler betrachtet werden. Um die Werke des Prado, für die sich immer mehr Menschen in Deutschland interessierten und deren fehlende fotomechanische Vervielfältigung schon 1897 als „schmerzlich empfundene Lücke“ unter Kunstfreund:innen wahrgenommen wurde, einer breiten Konsument:innenschaft zugänglich zu machen, traten die Verlagshäuser an das Museum heran. Reproduktionen verschiedener Fotografen und Verlage wurden im Prado in einem eigens dafür vorgesehenen Lokal vertrieben oder tauchten in den jeweiligen nationalen Verlagsprogrammen auf.

Das riesige Verlagsangebot wurde für die Käufer:innen mit Hilfe von Katalogen zugänglich und konsumierbar gemacht. Wählen konnte man dabei in immer differenzierteren Kategorien: Alte Meister oder moderne Kunst, religiöse Darstellungen, Landschaften, Seestücke, Jagdmotive, Tierbilder, Szenen im Freien oder Interieurs, Genrebilder, Historienmalerei, Porträts oder Kinderbilder. Spanische Künstler waren vor allem in den Kategorien „Darstellungen des Kindes“ (Murillo) und „Bildnisse“ (Velázquez) vertreten. Häufig scheint die Auswahl der reproduzierten Bilder aber auch dadurch bestimmt zu sein, wie leicht die Werke für die Verlage in Museumssammlungen zugänglich waren.

Der Vertrieb von Reproduktionen nach Werken der bildenden Kunst war für viele Verlage ein gewinnbringendes Geschäft. Selbstverständlich bewarben sie ihre Produkte auch in Prospekten, Annoncen oder etwa im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, um große Verkaufszahlen zu generieren. Ein zentrales Verkaufsargument war Popularität: Leichte Verkäuflichkeit, ‚rege Nachfrage‘, hohe Auflagen und Absatzzahlen, ‚glänzender Erfolg‘, ‚unbegrenzte Verkaufsmöglichkeit‘ sowie weite Bekanntheit und Verbreitung wurden immer wieder in den Anzeigen angeführt. Besonders ‚gangbare‘, für saisonale Feste oder als Geschenk geeignete Produkte wurden explizit als solche beworben. ‚Brotartikel‘ wie Seemanns Farbige Künstler-Mappen versprachen einen ‚nicht nachlassenden Absatz‘. Auch der billige Preis spielte bei der erhofften Popularität eine Rolle.

Die technische Reproduktion von Kunstwerken beeinflusste auch die Möglichkeiten der Kunstbetrachtung im Schulunterricht. Weil Originale nur in beschränktem Umfang für Schüler:innen zugänglich waren, wurden ‚billige Bilder‘ im Zeichenunterricht, aber auch in Fächern wie Geschichte, Religion und Deutsch zur Anschauung verwendet. Seit 1900 gab es Bestrebungen, einen Unterricht in Kunstbetrachtung in den höheren Schulen einzuführen. Die vorrangigen pädagogischen Ziele waren dabei das viel geforderte ‚Sehenlernen‘ und eine Geschmackserziehung, die zum ‚Kunstgenuss‘ befähigen sollte. Inhaltlich lag der Fokus noch lange auf der Kunst der klassischen Antike, auf italienischen Meistern und der deutschen Kunst des Mittelalters und der Dürerzeit. Spanische Kunst fand nur sehr allmählich Aufmerksamkeit im Schulunterricht, doch zeigten sich mit der Zeit auch in den Lehrmedien die Tendenzen der kunsthistorischen Bearbeitung Spaniens.

Eben diese Popularisierung spanischer Kunst in Deutschland und ihre Verflechtung mit der touristischen Erschließung und der wissenschaftlichen Erforschung der spanischen Kunstlandschaft im frühen 20. Jahrhundert sind das Thema der im Mai 2023 erscheinenden Publikation Spanische Kunst – deutsche Kunstgeschichte. Der Band geht auf Beiträge einer Tagung zurück, die am 17. und 18. November 2022 an der Universität Siegen stattfand und die Ausstellung begleitete. Neben einem Katalogteil, der die in der Ausstellung gezeigten Objekte dokumentiert und thematisch einordnet, geht es in den Beiträgen von Teresa Posada Kubissa (Madrid), Franziska Lampe (München), Joseph Imorde (Berlin), Robin Rehm (Zürich), Mirja Beck (Berlin) und Andreas Zeising (Dortmund) insbesondere um die Frage, auf welchen textlichen und bildlichen Ebenen die spanische Kunst Verbreitung fand und welche Rolle innerhalb dieser Prozesse der kommerziellen Verbreitung und dem wissenschaftlichen Gebrauch gedruckter Reproduktionen beizumessen ist – ein Themenfeld, das in jüngster Zeit auch Dank des Teilprojekts „Billige Bilder“ im Sonderforschungsbereich „Transformationen des Populären“ verstärkt in den Fokus der aktuellen kunsthistorischen Forschung gerückt ist.

Inhalt des Bandes: Spanische Kunst – deutsche Kunstgeschichte

Mirja Beck, Joseph Imorde u. Andreas Zeising (Hg.): Spanische Kunst – deutsche Kunstgeschichte. Reproduktion, Popularisierung, Kritik. Siegen 2023.

Darin:

Mirja Beck, Joseph Imorde u. Andreas Zeising: Einführung, S. 7–12.

Teresa Posada Kubissa: Von Joachim von Sandrart bis August L. Mayer: Ein Rückblick auf die Rezeption der spanischen Malerei in Deutschland, S. 15–33.

Franziska Lampe: Charity mit Reproduktionen: Die Spanische Künstler-Mappe von María de la Paz von Bayern, Infantin von Spanien, S. 35–57.

Joseph Imorde: Poesie des Proletariertums. Murillo, der »spanische Raffael«, und sein Erfolg in Deutschland, S. 59–89.

Robin Rehm: Goya um Neunzehnhundert. Valerian von Logas Legendenkritik und Paul Klee, S. 91–116.

Mirja Beck: El Greco sehen. Julius Meier-Graefes Spanische Reise (1910) zwischen Beschreibung, Popularisierung und Reproduktion, S. 117–148.

Andreas Zeising: Arbeit mit Reproduktionen. Zum Hantieren mit Bildern im Kunstunterricht, S. 149–171.

Katalogteil, mit Beiträgen von Aylin Daus, Charlotte Figulla, Konrad Matuszczak, Hannah Roth und Sophia-Marit Weber, S. 173–249.