Autorenworkshop zum Themenheft „Mittelalterentwürfe in der modernen Fantasy“
14. – 15. Oktober 2025
Organisation:
Dr. Theresa Specht
Prof. Dr. Hans Rudolf Velten
An zwei Tagen werden die Beiträge aller beteiligten Kolleginnen und Kollegen, die im Themenheft des Mediävistenverbandes unter dem Titel „Mittelalterentwürfe in moderner Fantasy“ erscheinen werden, diskutiert. Das Themenheft der Zeitschrift Das Mittelalter wird von Dr. Isabella Managó, Dr. Moritz Kelber und Dr. des. Johanna Spangenberger herausgegeben.
Zur thematischen Ausrichtung des Themenheftes (aus dem CFP):
In seinem Aufsatz „Zehn Arten, vom Mittelalter zu träumen“ schreibt Umberto Eco: „Träumt vom Mittelalter, aber fragt euch immer, von welchem. Und warum.“ Wie fruchtbar Ecos Aufforderung zum Träumen ist, zeigt sich eindrücklich am Beispiel der modernen Fantasy. Seit den Anfängen des Genres stellen Vorstellungen des Mittelalters einen entscheidenden Bestandteil dar und nehmen durch die ungebrochene Popularität der Fantasy prominenten Raum im gesellschaftlichen und kulturellen Diskurs ein. Gefilmt, gestreamt, gelesen und geschrieben, gezeichnet, gemalt, entworfen und modelliert von Amateuren und Profis, aufgeführt und gespielt in Theatern, (Computer-)Spielen und auf Conventions und vermarktet in der ganzen Welt – Fantasy und ihre mannigfachen Evokationen des Mittelalters reichen in zahllose kulturelle Nischen und lösen breite Begeisterung aus.
Während Ecos Aufforderung zum Träumen ein kreatives Potential anspricht, lässt sich aus der Frage nach Erscheinungsformen und Affordanzen des Mittelalters ein Arbeitsauftrag ableiten, der als Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Rezeptionssträngen, Resonanzen und Verflechtungen der Fantasy dienen kann. Anknüpfend an vielfältige Forschungsaktivitäten diverser Fachrichtungen auf diesem Feld und in geplanter Zusammenarbeit mit dem SFB-Projekt in Siegen „Populäres Mittelalter: Narrative und Inventare in der Fantasyliteratur“ möchten wir mit dem Heft interdisziplinär Erscheinungsformen des von der Fantasy entworfenen ‚Multiversums‘ an Mittelalter-Imaginationen und ihre gesellschaftliche Wirkmächtigkeit herausarbeiten.
Drei Fragenkomplexe sollen dabei leitend sein:
1. Worauf gründet sich die anhaltende Faszination für die mittelalterlichen Welten, die Fantasy entwirft?
In der Fantasy stehen nicht nur einzelne Erzählkerne oder spezifische Motive im Mittelpunkt der Wiederaufnahme. Vormoderne Denkmuster, Mythologien, Rituale, Objekte wie Münzen, Schilde, Waffen, architektonische Entwürfe, heraldische Darstellungen, künstlerische und musikalische Interpretationen und noch viele weitere Bereiche prägen die Erscheinungsform der Fantasy. Sie sind Gegenstand ganz unterschiedlicher Aneignungen, die auch unmittelbar lebensweltlich relevant werden können. Reenactments wie Mittelaltermärkte, Cosplay und Ritterturniere, aber auch Computerspiele, Filme, Literatur, Formen der experimentellen Archäologie und Kunstwerke entwerfen wirkmächtige Vorstellungen des Mittelalters, die die Frage virulent werden lassen, worauf sich diese Faszination gründet und auch der Diskussion darüber, wie unsere Wahrnehmung der Vergangenheit dadurch konstruiert und beeinflusst wird, viel Anschauungsmaterial bieten.
2. Wie wirkt die Fantasy auf Vorstellung von Geschichte und in welchem Verhältnis steht sie zu kulturellen Entwicklungen und politische Einstellungen?
Für das ohnehin fragile Konzept historischer Wahrheit stellt es neue Chancen, aber auch Herausforderungen u. a. für den didaktisch-pädagogischen Auftrag von Schulen und Universitäten dar, wenn in einer gemeinhin als mittelalterlich verstandenen Welt alternative Geschichtsentwürfe postuliert, Sprachen erfunden und eigene Theogonien konzipiert und wiederum vielfach rezipiert werden. Die Welten der Fantasy greifen aber nicht nur auf Vergangenes zurück und entwerfen dabei das Mittelalter als eine Art heroic age; sie reagieren zugleich auf Krisen der Gegenwart, beziehen also globale Pandemien, Kriege, Hungersnöte, Wasserknappheit, die Klimakrise, aber auch vielfältige Diskriminierungsstrukturen als Erfahrungsraum der Moderne in ihr world building ein. In der selektiven Aneignung (bisweilen vermeintlich) mittelalterlicher Phänomene und den daraus abgeleiteten Narrativen berühren sich Populärkultur und gesellschaftliche Strukturen immer wieder auch in hochproblematischer Weise: Mytheme wie die heroischen Kämpfe ‚großer Männer‘ oder ausgewählter ‚Völker‘ finden über die so postulierte soziokulturelle, identitätsmäßige Homogenität gerade in rechtsnationalen bis rechtsextremen Kreisen erhebliche Verbreitung. Mit den Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, aber auch auf die Erzählmodi der Fantasy selbst muss sich die Forschung zur Mittelalterrezeption notwendig auseinandersetzen.
3. Auf welche Weise können die mediävistischen Fächer ihren wissenschaftlichen Beitrag zu diesem popkulturellen Phänomen leisten?
Für die interdisziplinäre Diskussion schlagen wir vor, im besten Fall fächerverbindend, Erzählmuster zu analysieren, motiv- und stoffgeschichtliche Untersuchungen anzustellen und spezifische ästhetische Verfahren und kulturphilosophische Entwicklungen und (kommerzielle) Strategien, die zur Popularisierung des Genres beitragen, sichtbar zu machen. Theoretische Ansätze wie die Possible Worlds Theory oder Konzepte der Alterität können dabei ebenso diskutiert werden wie Wissens- und Kulturtransfers oder (postmoderne) Theorien der Fiktionalität. Für das Heft sprechen wir deshalb ein breites disziplinäres Spektrum an. Wir freuen uns über Beiträge aus den unterschiedlichen Philologien, der Kunstgeschichte sowie den Musik-, Geschichts-, Religions-, Kultur- und Medienwissenschaften, der Archäologie oder der Numismatik. Mit den verschiedenen disziplinären Kompetenzen soll ein gemeinsamer Ansatz zur Verortung der vielfältigen Ausprägungen der Fantasy erarbeitet werden.