Konferenz

07. – 09. November 2024
weißensee kunsthochschule berlin

In der Novelle Ein Bild des Schriftstellers Friedrich Brunhold, die 1863 in der Gartenlaube erscheint, wird einer jungen Frau aus armer Familie zu Weihnachten „ein prächtiges Murillo-Album“ auf den Gabentisch gelegt. In dem Geschenk eines Verehrers wird man ein Produkt des Photographischen Kunst- und Verlags-Instituts Gustav Schauer vermuten dürfen. Die Firma gab zu der Zeit einen „Kunsthistorischen Cyclus“ heraus, deren Alben zu „Rafael, Murillo, da Vinci und Correggio“ schon 1860 im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel als weihnachtliche „Fest-Geschenke“ angepriesen wurden.1

Am 24. Dezember 1897 überrascht der Kunsthistoriker Ernst Steinmann den Ersten Sekretar des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom, Eugen Petersen, mit einer Fotografie Domenico Andersons. Abgebildet ist der Moses Michelangelos. Die Ehefrau, Ina Petersen, erhält eine große Aufnahme von Raffaels Parnass. Die Reproduktionen sind mit einigem Bedacht gewählt und zuerst einmal auf die vermeintlichen Vorlieben der Adressat:innen ausgerichtet, doch lässt sich der Moses auch auf das sehr intime Verhältnis beziehen, das Steinmann in jenen Jahren mit Eugen Petersen zu unterhalten versucht.2

In seinem 2006 erschienenen autobiografischen Text Beim Häuten der Zwiebel schildert Günter Grass zu Beginn seine kindliche Leidenschaft für kunsthistorische Zigaretten-Sammelbilder. Sie gaben noch vor dem Zweiten Weltkrieg die Meisterwerke der europäischen Malerei in farbigen Reproduktionen wieder, anhand denen Grass lernte, „die Namen der Künstler Giorgione, Mantegna, Botticelli, Ghirlandaio und Caravaggio falsch auszusprechen“. Die Alben, in denen die Bilder einzukleben waren, kamen vom Zigaretten-Bilderdienst Hamburg-Bahrenfeld und waren, so vermutet Grass, „Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenke“.3

Die geplante Tagung möchte anhand aussagekräftiger Fallbeispiele Praktiken einer bisher kaum beachteten Form populärer Kunstvermittlung untersuchen. Es wird dabei von der These ausgegangen, dass kunsthistorische Inhalte um und nach 1900 erst durch die technischen Entwicklungen der Reproduktions- und Druckindustrie zum Gegenstand einer sich schnell etablierenden Geschenkkultur breiter Schichten werden können. Das bezieht sich auf Reproduktionen aller Art, etwa solche, die in Einzelbildern, in Galerie- und Mappenwerken angeboten, aber auch auf solche, die in stark bebilderten Monographien, Einführungs- oder Überblickswerken vermarktet werden. Von besonderem Interesse sind die Werbestrategien der einschlägigen Verlagsanstalten (Bruckmann, Seemann, etc.), aber auch die Zusammenhänge, mit denen versucht wird, die Popularisierung und Proliferation von Bildern für die Vielen zu begründen und gegen Kritik in Schutz zu nehmen (unmittelbare Anschauung, Einfühlung, Kunstgenuss, etc.).

Hinter den offenkundigen Bildungsidealen wirken allerdings auch handfeste kommerzielle Interessen der verschiedenen Akteure, Interessen sowohl der Verlagsanstalten wie auch der Museen selbst. In den vielen Angebotsformaten heutiger Museums-Shops spiegelt sich eben auch die Aufwertung des Massenprodukts Reproduktion gegenüber dem originalen Kunstwerk. Die Praxis, kunsthistorische Inhalte zu verschenken, scheint dabei besonders durch gesellschaftliche Dynamiken bestimmt zu sein. Diese wären nicht nur in jedem einzelnen Fall zu analysieren, sondern sollen auf der Tagung auch auf ihre kulturellen, sozialen, geschlechts­spezifischen, ökonomischen und politischen Dimensionen hin befragt werden und das aus möglichst interdisziplinärer Perspektive.


Zugesagt sind Vorträge von: Hana Buddeus (Prag), Nupur Doshi (Mumbai), Sebastian Fitzner (Dresden), Anja Grebe (Krems), Gizem Gürbürz (Köln), Henry Kaap (München), Matthias Krüger (München), Baiba Vanaga (Riga), Leah Waleschkowski (Köln), Andreas Zeising (Dortmund), Mirja Beck (Berlin), Joseph Imorde (Berlin) und Franziska Lampe (München).


Anmerkungen

1 Friedrich Brunhold (d. i. August Ferdinand Meyer) (1863): „Ein Bild. Novelle“, in: Gartenlaube, S. 321–324, S. 337–340, hier S. 323.

2 MGP-Archiv III. Abteilung Rep. 63 Nr. 35 (16. Juni 1894 – 5. Dezember 1909), 25r.

3 Günter Grass: Beim Häuten der Zwiebel. Göttingen: Steidl Verlag 2006, S. 11 und S. 13.