Fanfiction und Fanforen, wie sie heutzutage auf digitalen Plattformen florieren, erlauben einen einzigartigen Einblick in die Produktions-, Distributions- und Rezeptionsweisen populärer Kultur. Digitale Foren wie fanfiktion.de und forum.perry-rhodan.net stellen die Forschung allein aufgrund ihres Umfangs vor Herausforderungen: Welche »Werke«, die auf einer Fanfiction-Plattform publiziert werden, welche Posts oder Threads auf einem Fanforum wären genauer auszuwerten? Welche nicht?
Muss man alles lesen, um diese Frage zu beantworten? Oder ließen sich auch größere Datensätze mit digitalen Methoden untersuchen? Wie lassen sich close readings und digitale Methoden kombinieren?

Im Zentrum des Teilprojekts A01 Serienpolitik der Popästhetik: Superhero Comics und Science-Fiction-Heftromane stehen zwei langlaufende, populäre Serien: Die US-amerikanische Comicheftserie Captain America (ab 1941) und die deutsche Heftromanserie Perry Rhodan (ab 1961). Zu den grundlegenden Annahmen des Projekts zählt der Befund, dass diese Serien nur deswegen seit Jahrzehnten fortgesetzt werden, weil sie populär sind, und dass diese Popularität auf einer Eigenschaft von Serialität basiert, nämlich im Verlauf der Fortsetzung der Serie immer wieder Änderungen zu erproben, den Erfolg von Innovationen an Beachtungserfolgen (Verkaufserlöse, Auflagenhöhe, Abonnentenzahlen etc.) zu messen und entsprechend positiv zu verstärken, zu revidieren oder negativ zu selektieren. Weniger populäre Serien werden nicht fortsetzt, ProtagonistInnen eingestellter Serien werden vergessen. Populäre Serien dagegen verändern sich. Diese Veränderungen kann, von Heft zu Heft, als Kombination von Variation und Redundanz beschrieben werden. Diese Serienevolution findet gleichsam in einer ökologischen Nische statt, in der letztlich die Beachtung von vielen (= Popularität) darüber entscheidet, welche Varianten negativ oder positiv selektiert werden. In der Forschung zu Comic- oder Heftromanserien spielt diese Funktion der Popularität kaum eine Rolle.

Dass Serien hinreichende Beachtung finden und daher fortgesetzt werden, impliziert nicht nur, dass es Menschen gibt, die das eine oder andere Heft käuflich erwerben, sondern auch, dass es viele Menschen gibt, die diese Hefte über lange Zyklen oder Folgen hinweg rezipieren. Sie stellen das Publikum einer Serie dar, nicht die LeserInnen eines einzelnen Heftes. Und eine große Zahl dieser SerienrezipientInnen begnügen sich nicht mit dem stillen Genuss der Hefte, sondern kommentieren ihre Serie und tauschen sich über sie aus. Wie wäre ihr Anteil an der Serienevolution zu bestimmen?

Von den cultural studies ist seit Jahrzehnten angemahnt worden, die Rolle der RezipientInnen populärkultureller Artefakte zu berücksichtigen. Auch die Erforschung von Comic- oder Heftromanserien hätte die »participatory culture« in Betracht zu ziehen. Dies hat in der Forschungspraxis bislang allerdings kaum konkrete Folgen gezeitigt. Wie Comics oder Heftromanserien populärkulturell zu verstehen seien, wird nach wie vor primär aus den Artefakten selbst deduziert oder aber aus Unterstellungen über den Warencharakter oder die industriellen Produktionsverfahren von Serien abgeleitet. Welche Rolle LeserInnen von Comics oder Heftromanen in der Evolution der Serien spielen, ist nicht befriedigend beantwortet worden. Dies liegt auch daran, dass Rezeptionszeugnisse von LeserInnen in diesem Sektor der Kultur, der lange als trivial, niedrig oder schematisch galt, kaum systematisch erfasst (für die Forschung gesichert) worden sind.

Unser Korpus, Marvel-SuperheldInnen-Comicserien sowie die deutsche Heftromanserien Perry Rhodan und Perry Rhodan Neo, haben wir auch deshalb gewählt, weil es intensiv genutzte digitale Foren gibt, in denen LeserInnen sich über die von ihnen rezipierten Serien austauschen. Diese LeserInnen können als Fans bezeichnet werden. Diskutiert wird in den Foren über die Qualität der Hefte, und dies auch im Kontext populärer Serialität. Die Mitglieder dieser Foren wissen, dass ihre Serien nur fortgesetzt werden, wenn sie populär bleiben; und sie wissen, dass diese Serien immer wieder erneuert werden müssen, um ein dauerhaftes Interesse ihrer LeserInnenzu sichern. In Zehntausenden von Beiträgen von Tausenden von LeserInnen kann beispielsweise im forum.perry-rhodan.net beobachtet werden, welche ästhetischen, aber auch politischen oder moralischen Erwartungen von den RezipientInnen an die Heftromane stellen. Da AutorInnen der Serie im Forum aktiv partizipieren, kann ebenfalls beobachtet werden, welche Rolle die (Rede der Fans über ihre) Rezeption der Serie für ihre Fortführung zukommt. Spielt das, was viele RezipientInnen für relevant halten, auch eine Rolle für die Fortsetzung einer Serie, die auf die Beachtung von vielen angewiesen ist?

Die quantitative Dimension dieser Zeugnisse von Leserinnen und Lesern im Forum ist gewaltig; nur ein Bruchteil der Threads kann im Projekt berücksichtigt und einem close reading unterzogen werden. Dies wirft die Frage auf, welche Threads oder auch welche Forum-Accounts überhaupt untersucht werden sollen. Eine Antwort versucht das Projekt ebenfalls aus seinen Grundannahmen zum Zusammenhang von Popularität und Serialität zu entwickeln: Beachtet werden die Threads und ForistInnen, die bereits im Forum am meisten Beachtung gefunden haben. Da im Forum permanent Popularitätsdaten erhoben und in Countern angezeigt werden, gehen wir davon aus, dass diese Beachtungswerte eine evolutionäre Rolle spielen – also die Wahrscheinlichkeit, dass viel beachtete Beiträge größere Beachtung finden, hoch ist, während die Chancen für kaum beachtete Beiträge, künftig große Beachtung finden, gering sind.

Eine solche Verteilung von Beachtung ist typisch für skalenfreie Netze. Die populärsten Threads sind für uns also, das wäre die heuristische Konsequenz, wichtiger als nicht-populäre, gar nicht beachtete Posts, und dies ganz unabhängig von ihren Themen und Positionen. Die populärsten Threads dagegen werden in einem close reading analysiert, um sie dann auf die Heftromane (oder Comichefte), ProtagonistInnen oder SuperheldInnen zu beziehen, um die es geht. Die Fortsetzung der Serie (die Handhabung von Redundanz und Variation in einer konkreten Sequenz von Heften) kann dann auf die Diskussion dieser Heftsequenz in den populärsten Threads bezogen werden. Mit der Hilfe von digitalen Methoden würden wir (A01) in Zusammenarbeit mit unserem SFB-Team versuchen, die These einer »participatory culture« der Populärkultur ernst zu nehmen und so zugleich die Serienevolution besser zu verstehen, indem wir die Rolle der Rezeption einbeziehen. Kurz gesagt: Es geht darum zu rekonstruieren, wie Serien ihre Fortsetzung unter der Bedingung gelingt, populär sein zu müssen. Oder mit anderen Worten: Wie es ihnen gelingt, Leserinnen und Leser immer wieder in Fans zu verwandeln und sie so an eine Serie zu binden, die auch für das nächste Heft ein Maß an Beachtung erwartet, dass die Fortsetzung überhaupt ökonomisch rentabel macht. Wie dies gelingt, lässt sich nur untersuchen, wenn nicht nur die Hefte der Serien, sondern auch die Rezeptionszeugnisse der Fans in den Fokus genommen werden. Fan-Foren stellen allerdings auch neue Anforderungen an die Forschung. Genau wie Fan-Fiction-Plattformen.

Unsere Überlegungen sind von der Erwartung getragen, dass es sich lohnt, gerade mit einer Arbeitsgruppe der Technischen Universität Darmstadt (Prof. Dr. Thomas Weitin, Katharina Herget, Dr. des. Anastasia Glawion, Judith Brottrager, Zsofia Pilz) in einen Austausch zu treten, die sich mit digitalen Methoden in der Literaturwissenschaft exzellent auskennt und als Gegenstand der Untersuchung eine in vieler Hinsicht vergleichbare Plattform gewählt hat: fanfiktion.de. Denn auch dieses Forum ist vielfach nach Popularitätskriterien strukturiert. Ranking und Ratings, Counter und Listen prägen das Forum und rahmen alle Content-Informationen. Dass in diesem Forum auch Fan-Fiction aus den Universen von Perry Rhodan und Marvel erschienen sind, lässt weitere Synergien erwarten. Auch die Frage, wie eine Plattform erschlossen werden soll, auf der mehrere hunderttausend »Werke« der Fan-Fiction publiziert und zigtausend Mal kommentiert worden sind, kann gemeinsam diskutiert werden. Dazu werden die Korpuserstellung, das Graphical User Interface für den niederschwelligen Zugang zum Korpus und verschiedene Modellierungen von Text- und Rezeptionsdaten vorgestellt.