Gender und/oder Glaub­wür­dig­keit: Wie geschlech­ter­spe­zi­fi­sche Zuschrei­bun­gen die Wissen­schafts­kom­mu­ni­ka­tion in „Don’t Look Up“ prägen

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08.03.22
  • Frauke Domgörgen

[Don’t Look Up ist trotz oder gerade wegen seiner zynischen und schwarzhumorigen Darstellung eines Totalversagens der Menschheit im Angesicht des drohenden Weltuntergangs eine der erfolgreichsten Netflix-Produktionen aller Zeiten. In dieser Blog-Serie (im Rahmen der Reihe „Populäre Expertise“) befassen sich vier Wissenschaftler*innen des neu gegründeten Rhine-Ruhr Center for Science Communication Research aus unterschiedlichen Disziplinen (Tobias Kreutzer, Frauke Domgörgen, Aleksandra Vujadinovic und Julika Griem) mit verschiedenen Aspekten der Wissenschaftskommunikation in Don’t Look Up. Dieser Beitrag erscheint parallel auf dem KWI-Blog und dem Blog des SFB 1472 „Transformationen des Populären“.]

I. Ihre Andersartigkeit

Über Don’t Look Up wurde viel und lautstark diskutiert – die Zuschauenden sind sich uneinig, ob man das Werk vorhersehbar findet oder eben gerade dieser Punkt der entscheidende ist. Regisseur Adam McKay illustriert die Dynamiken unserer News-basierten Welt ebenso wie die patriarchalen Strukturen, unter denen Frauen auch in der Wissenschaftskommunikation angezweifelt und reflexhaft hinterfragt werden. Die filmische Darstellung sexistischer Rollenbilder ist nicht neu, und dennoch bedarf sie weiterhin der – durchaus zynischen – Aufmerksamkeit, um zu Veränderungen zu führen. So formulierte es auch einst die französische Politikerin Simone Veil: „Mein Anspruch als Frau ist, dass meine Andersartigkeit anerkannt wird; dass ich nicht das Modell Mann übernehme“.1 Schauen wir doch mal, wie viel „Modell Mann“ in Don’t Look Up vorhanden ist.

Obwohl Kate Dibiasky den Kometen entdeckt hat, ist es nicht die weibliche Doktorandin, sondern der männliche Professor, der das scheinbare ,Potenzial‘ mitbringt, im Fernsehen über die wissenschaftliche Entdeckung zu berichten. Paradox, da doch Frauen in alltäglichen Situationen gerne als Vermittlerinnen und Kommunikatorinnen portraitiert werden. Wie kommt es also dazu, dass der schüchterne Prof. Mindy, der sich gerne in Formeln und Wahrscheinlichkeiten ausdrückt, von Politik und Medien gegenüber Kate Dibiasky bevorzugt wird? Liegt es an seinem Professoren-Titel und seiner Reputation? Es stecken wohl auch symbolische Distinktionskriterien dahinter, anhand derer Frauen die für das jeweilige Fach zentralen wissenschaftlichen Fähigkeiten abgesprochen werden.2

Angesichts der Aufgabe, die US-Regierung über die drohende Kometen-Gefahr zu informieren, wird Prof. Mindy nervös; er versucht, sich mit seinem wiederholten Mantra „you are here now“ zu beruhigen. Kate Dibiasky wählt eine andere Methode: sie konsumiert Cannabis. Und nicht nur diese Handlung passt ins Bild ihrer alternativen, durchaus feministischen Gesamterscheinung. Mit ihrer markanten Frisur (rote Haare, präziser kurzer Pony, man könnte ihn auch als Haarschnitt des linken Milieus bezeichnen), ihrer lässigen, kaum beachteten Kleidung sowie ihrem entschlossenen Auftreten (inklusive starkem Eyeliner) fällt Dibiasky aus dem Raster des Habitus einer forschenden Person. Doch wann immer Prof. Mindy nicht klar und deutlich genug formuliert, in welcher Gefahr sich die Erde befindet, ist Dibiasky als Back-up zur Stelle und vereinfacht die komplexen wissenschaftlichen Inhalte. Schade nur, dass auch die Welt in Don’t Look Up ihre ,Andersartigkeit‘, wie Simone Veil es nannte, nicht akzeptiert.

So verläuft dann auch der Besuch im Weißen Haus. Meryl Streep verkörpert den weiblichen Trump, eine populistische und narzisstische Präsidentinnen-Persönlichkeit, die ihren Sohn als Chief of Staff eingestellt hat und sich mehr um die midterms sorgt als um den Kometen. Die Reaktion der obersten Regierungsebene Amerikas ist nicht, wie von den Wissenschaftler*innen erhofft, eine sofortige Strategie zur Beseitigung des Kometen auszuarbeiten, sondern zunächst einmal andere Wissenschaftler*innen beurteilen zu lassen, ob tatsächlich so große Gefahr droht.

II. Zwischen Film und Realität

Wechseln wir doch hier einmal die Perspektive von der Wissenschaft in die Politik – als kleinen Exkurs zum Film – und betrachten die Grünen-Politikerin Anna-Lena Baerbock in ihrer Funktion als neue Bundesaußenministerin. Anfang Februar 2022 besuchte sie den Donbass in der Ukraine, um sich einen Eindruck von der Frontlinie im Konflikt mit Russland zu verschaffen. Baerbock wurde bereits auf anderen Stationen ihrer Reise mit einem kritischen Auge verfolgt – immer mit der Frage im Gepäck, wie sie sich denn nun neben den meist männlichen Kollegen schlage. Umgekehrt wurde Heiko Maas (SPD) 2017 nicht gefragt, ob er sich denn unter seinen weiblichen Kolleginnen auch wohl fühle. Begonnen hat diese ,besondere‘ Begutachtung Baerbocks mit einer Umfrage von Forsa zum Start der neuen Bundesregierung im Dezember 2021. „Die Bundesregierung im Check“ offenbarte, was weibliche Politikerinnen in Deutschland bereits seit Jahren selbst erfahren:3 Einen mangelhaften Vertrauensvorschuss. Anna-Lena Baerbock wurde die Position als Bundesaußenministerin nicht zugetraut.4 Über die Hälfte der Befragten (52%) gaben an zu denken, Baerbock würde ihre neue Rolle eher schlecht ausfüllen. So überspitzt die Personen in Don’t Look Up also portraitiert werden, so real sind kulturell geprägte Prozesse der Kompetenz-Abschreibung für Frauen.

Zurück zum Film: Nach dem enttäuschenden Gespräch mit Präsidentin Orlean, die den Kometen nicht als Priorität auf ihrer langen Liste der zu lösenden Probleme betrachtet, setzen die Wissenschaftler*innen nun auf individuelle, aktive Wissenschaftskommunikation, indem sie mit ihrer ,Story‘ an die Presse gehen. Es folgt eine kritische Szene für Kate Dibiasky, in welcher sie inmitten der Talkshow, in der die Wissenschaftler*innen eigentlich für den Kometen sensibilisieren wollen, die Geduld verliert. Dabei ist es die Doktorandin, die die Entdeckung und Bedeutung des Kometen zunächst sehr vereinfacht und auf die Zuschauenden zugeschnitten formuliert:

„I discovered something. It was a comet. A big one. It’s headed directly at Earth, and it really likely will hit.”

Die schockierten Reaktionen der Moderator*innen auf diese Nachricht bleiben jedoch aus. Sie versuchen, die Schwere des wissenschaftlichen Befunds mit ,Humor‘ und ,Leichtigkeit‘ zu entdramatisieren. Es ist diese Nicht-Reaktion, die die Doktorandin aus der Fassung bringt:

„I’m sorry, are we not being clear? We’re trying to tell you that the entire planet is about to be destroyed. (…) Well, maybe the destruction of the entire planet isn’t supposed to be fun. Maybe it’s supposed to be terrifying. And upsetting. And you should stay up all night, every night, crying, when we’re all 100% for sure gonna fucking die!”

Mit ihrem emotionalen Ausruf erlebt Dibiasky einen Prozess, der zwar nicht auf das weibliche Geschlecht beschränkt ist, der aber auch in der Realität zur Deformierung von Identitäten führt; die „yelling lady“, wie die Moderatorin der Talkshow die Doktorandin bezeichnet, wird zum Meme. Dibiasky wird nun in den sozialen Medien gemobbt – ganz im Sinne des altbackenen Klischees einer hysterischen Frau. Der spätere explosive Moment von Prof. Mindy hingegen wird als ,moralisch gereift‘ illustriert, ihn verfolgen keine shitstorms oder Verschwörungsnarrative auf Social Media.

III. Let me entertain you

Für die filmische Darstellung der Misogynie gegenüber Kate Dibiasky ist ebenso entscheidend, dass ein männlicher Wissenschaftler trotz seiner schwierigen Startbedingungen (zurückhaltend, zerzaust, akademische Ausdrucksformen) für die weitere Wissenschaftskommunikation ausgewählt wird. Zwar hält Randall Mindy eine Professur für Astronomie an der Michigan State University inne, welche sich im Mittelfeld der US-amerikanischen Universitätsrankings befindet (#83)5, doch ist es nicht seine wissenschaftliche Reputation, die ihn zu Amerikas Liebling macht, sondern vor allem seine unbeholfene, hilfsbedürftige Erscheinung. Prof. Mindy wird die Chance gegeben, sich zu einem Wissenschaftskommunikator zu entwickeln, der gleichzeitig auch als „friend to lean on“ durchgehen kann. Die Entertainment-Strategie geht auf: Die Zuschauer*innen der Talkshow finden ihn cute und widmen ihm ein neues Akronym („AILF – astronomer I’d like to fuck“).

Die Wissenschaftler*innen müssen sich den Rahmenbedingungen der Medien beugen, um gesehen und vor allem gehört zu werden. Sie müssen nicht nur komplexe Inhalte auf Party-Gespräch-Ebene6 vermitteln, sondern auch ihr Image und ihre Persönlichkeit so präsentieren, dass möglichst hohe Sympathie-Werte entstehen. Die Moderatorin der Talkshow, Brie Evantee, hat diese Entertainment-Logik der Medien völlig verinnerlicht und widmet sich nur den Personen, in denen sie ebenfalls mediales Potenzial wittert. Da ist es wenig überraschend, dass Kate Dibiasky mit ihrem alternativen Look nicht zu den Auserwählten zählt. Dementsprechend wird sie auch ohne Umschweife von Evantee diffamiert („Is she always like that?“).

Auch Präsidentin Janie Orlean trägt ihren Teil zur Marginalisierung der Wissenschaftlerin Dibiasky bei. Sie nutzt ihren Namen, um den „common enemy Dibiasky“ zu personifizieren und im Kontrast dazu glorifiziert sie, gemeinsam mit den Medien, Professor Mindy zum Berater-Liebling. Präsidentin Orlean repräsentiert die Frau, die ganz oben auf der Karriereleiter angekommen ist – die aber dementsprechend auch ihren Habitus dem der vorherigen Präsidenten der USA anpasst, inklusive einer guten Portion Misogynie. Ob es beabsichtigt war, auch die Erniedrigungen durch Frauen in Machtpositionen zu illustrieren, oder ob Meryl Streep vor allem als weiblicher Trump agieren sollte, lässt sich diskutieren. Mit Blick auf die grotesk gestaltete Figur ihres Sohnes könnte man eher auf Letzteres schließen.

Neben den sexistischen Akteuren in ,Machtpositionen‘, die über die Verbreitung der wissenschaftlichen Nachricht entscheiden, sind auch die Geschlechter-Zuschreibungen innerhalb des Forschungsfelds der Wissenschaftler*innen relevant für die in Don’t Look Up dramatisierte Wissenschaftskommunikation. Randall Mindy agiert in einem Feld der technoscience, in welchem die Sichtbarkeit von Männern durch die kulturelle Zuschreibung der Fachlichkeit zum männlichen Geschlecht erhöht ist.7 Man könnte auch sagen, die Darstellung von Prof. Mindy entspricht einer „gängigen Schablone“8, nach der der Bereich der Astronomie symbolisch mit Männlichkeit verknüpft wird. Dibiasky wird nicht explizit aufgrund ihrer Weiblichkeit der wissenschaftlichen Kommunikation verwiesen, sondern weil die Zuhörenden „mit kulturell präreflexiv funktionierenden Zuordnungen und Mustern operieren, die den Beteiligten vollkommen selbstverständlich erscheinen“9. Kurzum bedeutet das: Weil ,die‘ Gesellschaft sich weiterhin einen Mann als Wissenschaftler in der Astronomie vorstellt, sollte es auch ein Mann sein, der die Nachricht über den Kometen im Fernsehen kommuniziert. Welcome to 2022.

Betrachtet man ausschließlich die zugeschriebenen Geschlechterrollen in Don’t Look Up, bleibt man mit diesem Eindruck zurück: Der Film illustriert die expliziten wie impliziten Formen kulturell bedingter Marginalisierung von Frauen in der Wissenschaft. Er betont auch die Bewertung von Akteuren nach geschlechtsspezifischen Merkmalen, die speziell für Frauen leider auch heute noch gelten und denen sie besonders in der Kommunikation von Wissenschaft weiterhin ausgesetzt sind. All diese Mechanismen wurden bereits wissenschaftlich belegt – aber so lange sie sich nicht ändern, müssen sie weiterhin thematisiert werden. Zum Glück haben andere Kommunikator*innen, die dringende wissenschaftliche Befunde in der Realität vermitteln wollen, allein im deutschen Raum 26.000 Personen der wissenschaftlichen community als Support-System hinter sich.10

Frauke Domgörgen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Forum Internationale Wissenschaft (FIW), an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Im Rahmen des Rhine Ruhr Center for Science Communication Research (RRC) forscht sie zu dem Teilprojekt „Images and Imaginations of Science in Heterogeneous Publics“.

Referenzen

1 Bpb – Bundeszentrale für politische Bildung (2019): We are Feminists! Eine kurze Geschichte der Frauenrechte. München: Prestel Verlag.

2 Paulitz, Tanja (2012): Geschlechter der Wissenschaft: Strukturen, Kulturen und Wissen. In: Maasen, S., M. Kaiser, M. Reinhart & B. Sutter (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftssoziologie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 163-175. https://doi.org/10.1007/978-3-531-18918-5_13

3 Zeit Campus (2021): Jung, weiblich, unerwünscht. https://www.zeit.de/campus/2021-07/sexismus-politik-politikerinnen-instagram-parteitage-frauen-demokratie (aufgerufen 19. Februar 2022).

4 Frankfurter Runschau (2021): „Nicht geeignet“: Baerbock steckt im ersten Umfrage-Tief. https://www.fr.de/politik/annalena-baerbock-umfrage-ampel-koalition-aussenministerin-gruene-minister-karl-lauterbach-spd-news-91180100.html (aufgerufen 18. Februar 2022).

5 U.S.News (2022): 2022 Best National Universities. https://www.usnews.com/best-colleges/rankings/national-universities (aufgerufen 19. Februar 2022).

6 Werber, Niels (2022): Forschung zwischen Popularität und Reputation. Risiken der Wissenschaftskommunikation (Teil 2). https://blog.kulturwissenschaften.de/forschung-zwischen-popularitat-und-reputation-2/ (aufgerufen 22. Februar 2022). https://doi.org/10.37189/kwi-blog/20211215-0830

7 Paulitz, Tanja, Kink, Susanne, & Prietl, Barbara (2015a): Fachliche Distinktion und Geschlechterunterscheidung in Technik- und Naturwissenschaften. In: Paulitz, T., B. Hey, S. Klink & B. Prietl (Hrsg.), Akademische Wissenskulturen und soziale Praxis. Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 207-225.

8 Paulitz, Tanja (2015b): Die ‚feinen Unterschiede‘ der Geschlechter in Naturwissenschaft und Technik. Kultursoziologische Perspektiven auf rechnende Frauen. In: Krämer, S. (Hrsg.), Ada Lovelace. Paderborn: Fink, S. 115-127, S. 7. https://doi.org/10.30965/9783846759868_010

9 Paulitz, Tanja (2015b): Die ‚feinen Unterschiede‘ der Geschlechter in Naturwissenschaft und Technik. Kultursoziologische Perspektiven auf rechnende Frauen. In: Krämer, S. (Hrsg.), Ada Lovelace. Paderborn: Fink, S. 115-127, S. 10.

10 Fridays for Future Germany (2022): Fridays for Future. https://fridaysforfuture.de (aufgerufen 22. Februar 2022).

SUGGESTED CITATION: Domgörgen, Frauke: Gender und/oder Glaubwürdigkeit. Wie geschlechterspezifische Zuschreibungen die Wissenschaftskommunikation in "Don’t Look Up" prägen, in: KWI-BLOG, [https://blog.kulturwissenschaften.de/gender-und-oder-glaubwurdigkeit/], 08.03.2022

DOI: https://doi.org/10.37189/kwi-blog/20220308-0830