Die liberale Demokratie und ihre Freunde. Veith Selk und Uwe Volkmann im Gespräch mit Philip Manow über sein Buch „Unter Beobachtung“
21. November 2024
18:00 – 20:00 Uhr
F-S 002
StudienserviceCenter (SSC)
Sandstraße 16–18
57072 Siegen
Benötigen Demokratien Verfassungsgerichte, oder stellt die zunehmende ‚Konstitutionalisierung der Demokratie‘ auch eine Gefahr dar? Diese Frage steht im Zentrum des neuen Buches von Prof. Dr. Philip Manow Unter Beobachtung. Die Bestimmung der liberalen Demokratie und ihrer Freunde (2004). In seinem Werk kritisiert Manow eine zunehmende ‚Verfassungsverrechtlichung‘ der Demokratie seit dem Wendepunkt 1989/90 und stellt die Rolle der Verfassungsgerichte sowie supranationaler Rechtsordnungen infrage.
Am 21. November wird der Politikwissenschaftler seine Thesen im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung in Siegen vorstellen und mit Fachkollegen sowie dem Publikum diskutieren.
Die Veranstaltung wird moderiert vom Frankfurter Philosophen Dr. Philipp Schink. Zu den Diskutanten zählen Dr. Veith Selk, ebenfalls Politikwissenschaftler, sowie Prof. Dr. Uwe Volkmann, Rechtswissenschaftler und Rechtsphilosoph. Die Podiumsdiskussion verspricht, tiefe Einblicke in die komplexen Beziehungen zwischen Recht und Demokratie zu geben.
Die von Manow kritisierte Konstitutionalisierung der Demokratie beschreibt den Prozess, bei dem demokratisch gewählte Parlamente durch Verfassungsgerichte immer häufiger in ihren Entscheidungen eingeschränkt werden, etwa indem parlamentarisch getroffene Entscheidungen von Verfassungsgerichten wieder kassiert werden. Eine solche Tendenz stelle eine Gefahr für die politische Souveränität dar, da Gesetze und politische Entscheidungen zunehmend von juristischen Instanzen überprüft und oft aufgehoben werden.
Ein weiterer Aspekt, den Manow kritisch beleuchtet, ist die Rolle supranationaler Rechtsordnungen, wie etwa der Europäischen Union, und insbesondere des Europäischen Gerichtshofs. Diese Instanzen, so Manow, verschärfen die Problematik, indem sie parlamentarische Entscheidungen durch internationale Rechtsprechung ersetzen. „Recht“, so der Politikwissenschaftler, „‚programmiert‘ zunehmend Politik – und nicht mehr umgekehrt.“ Infolgedessen verliere die „elektorale Demokratie“ an Bedeutung, während die „liberale Demokratie“, die sich stärker auf verfassungsrechtliche Prinzipien stützt, an Einfluss gewinne.
Eine Reaktion auf diese Entwicklung sei das Erstarken des Populismus. Wenn die politischen Entscheidungen der Bevölkerung zunehmend von Gerichten oder internationalen Institutionen vorweggenommen werden, fühle sich die Wählerschaft von der Politik entfremdet. Die (provokante) These lautet zugespitzt: Die liberale Demokratie schafft sich erst ihre Feinde. Oder: Der Populismus ist nicht der Gegner, sondern das Gespenst der liberalen Demokratie.
Die Diskussion über Manows Buch wurde in den letzten Monaten breit geführt und wird durch zahlreiche Anschlussgespräche, etwa mit der Autorin und Verfassungsrichterin Juli Zeh, weiter angestoßen.
(Sandro Abbate, Universität Siegen)
In Kooperation mit der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Philip Manow ist seit April 2024 als Professor für Internationale Politische Ökonomie an der Universität Siegen tätig. Schon zuvor war er eng mit dem SFB 1472 verbunden: Er war als Vortragender sowie als Visiting Research Fellow am SFB 1472 zu Gast, und zudem hat er ein Working Paper zur Selbstbeobachtung der Demokratie durch die Demoskopie veröffentlicht. Seine Bücher Die Politische Ökonomie des Populismus (2018), (Ent-)Demokratisierung der Demokratie (2020) und Unter Beobachtung. Die Bestimmung der liberalen Demokratie und ihrer Freunde (2024), alle erschienen in der edition suhrkamp, sind viel beachtete Beiträge zur Populismus-Forschung.
Veith Selk ist Privatdozent für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Darmstadt. In seinem viel beachteten Buch Demokratiedämmerung. Eine Kritik der Demokratietheorie (2023) diagnostiziert er eine Krise der Demokratie und das Scheitern der tradierten Demokratietheorien. Weitere Buchveröffentlichungen u. a. Moralische Gentrifizierung. Soziologische Zeitdiagnostik und politische Theorie negativer Emotionen (mit Olaf Jann, 2023); Theorien des Populismus zur Einführung (mit Dirk Jörke, 2. Aufl. 2020); Das Regieren der Angst. Eine politische Ideengeschichte von der Tyrannis bis zum Leviathan (2016).
Uwe Volkmann ist Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Verfassungstheorie (u. a. Grundzüge einer Verfassungslehre der Bundesrepublik Deutschland, 2013), die Demokratietheorie und das Parteienrecht. Er veröffentlicht regelmäßig in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und im Verfassungsblog.
Philipp Schink ist Vertretungsprofessor für Internationale Politische Theorie und Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er ist Autor von Grundrisse der Freiheit (2019) und Herausgeber von Freiheit. Zeitgenössische Texte zu einer philosophischen Kontroverse (2017).