Populäre Affekte
Wintersemester 2025/26
Wenn von Polarisierung oder Populismus, von Spaltung oder Autoritarismus die Rede ist, dann wird dies in den Sozial-, Medien- und Kulturwissenschaften häufig mit „Affekten“ in Zusammenhang gebracht, welche die als problematisch erkannte Lage der demokratischen, liberalen Gesellschaften entweder zuspitzen oder sogar mit hervorbringen. In diesem Zusammenhang erscheinen Emotionen oder Affekte meistens allesamt negativ: Zorn, Hass, Ressentiment, Neid, Groll, Missgunst, Wut.
Es ist bemerkenswert, wie groß das Interesse der Soziologie an Affekten geworden ist und wie sehr dort Aufschluss über die gesellschaftliche Lage erhofft wird. Der sog. affective turn kann insofern als erfolgreich gelten, als nunmehr nicht nur nach der politischen Bedrohung durch negative Emotionen gefragt wird, sondern auch auf den „produktiven“ Beitrag von Gefühlen für die Demokratie hingewiesen wird.
Wie auch immer man die Chancen bewerten mag, die liberale Demokratie auf der Ebene entsprechender Affekte und Emotionen zu stabilisieren und gegen „Hass und Hetze“ zu immunisieren, wird man doch konzedieren müssen, dass Kommunikation wohl nicht (immer) affektneutral verläuft, auch wenn damit noch nicht bestimmt ist, welche Rolle Affekte in der Gesellschaft spielen und wie diese Rolle zu untersuchen wäre.
Für den SFB 1472 stellt es ein Desiderat dar, die affektive Dimension in den Blick zu nehmen und zu untersuchen, was seine Heuristik zur Forschung beizutragen hätte und, umgekehrt, wie sie weiterzuentwickeln wäre. Es steht zu vermuten, dass die aktuelle Hochzeit der Affektsoziologie auch Symptom unseres Gegenstands sein dürfte: Popularität und Intensität der Affekte steigern sich womöglich wechselseitig.
Zusätzlich zu unseren Visiting Fellows Lars Koch und Julia Prager werden am Workshop der CRG im Dezember teilnehmen:
Paula-Irene Villa Braslavsky (München)
Jürgen Brokoff (Berlin, SFB 1171 „Affective Societies“)
Vanessa Grömmke (Bochum, SFB 1567 „Virtuelle Lebenswelten“)
Martin Schäfer (Hamburg, EXC „Understanding Written Artefacts“)