Listen, Rankings, Charts. Zur Behauptung von Popularität.
Listen, die öffentlich ausweisen, dass etwas in einer bestimmten Hinsicht mehr aufweist als etwas anderes, sind in der Gegenwart von großer Bedeutung. Sie geben Orientierung und Entscheidungshilfe bei der Auswahl aus der unüberschaubaren Fülle von Büchern, Songs, Serien, Einrichtungsgegenständen, Restaurants, Universitäten etc. Die Forschung der letzten zwei Jahrzehnte hat diesem Phänomen nur teilweise Rechnung getragen. Zwar liegt eine große Zahl an Analysen zu Listen wie z.B. Universitätsrankings vor (vgl. Brankovic, Jelena, Leopold Ringel, and Tobias Werron (2018): How Rankings Produce Competition: The Case of Global University Rankings. in: Zeitschrift für Soziologie, 47. 4, S. 270-288). Diese Forschung widmet sich aber lediglich jenen Ranglisten, in die Einschätzungen von professionellen Expert:innen eingehen und/oder die materiale Eigenschaften von Gegenständen und Handlungen bilanzieren.
Vergleichsweise wenig Beachtung wird hingegen den veröffentlichten Ranglisten geschenkt, die auf der Zählung einer Menge an standardisiert ermittelbaren Handlungen beruhen und die – weit überwiegend – von nicht namentlich genannten Expert:innen vorgenommen werden: Der Fokus der CRG (Cooperative Research Group) liegt auf Ranglisten, die anzeigen, dass etwas mehr gekauft wurde als etwas anderes, häufiger eingeschaltet wurde, häufiger bei einer Meinungsumfrage angekreuzt oder genannt wurde, etc. Diese Ranglisten sagen nichts über die materialen Eigenschaften der gekauften, eingeschalteten, angekreuzten etc. Phänomene aus, sondern nur etwas über die Quantität der Kauf-, Einschalt-, Ankreuzakte und/oder ihre Relation. Was populärer ist als anderes, was bei vielen, sehr vielen, den allermeisten Beachtung gefunden hat und vergleichsweise mehr als andere Angebote, wird in Listen, Rankings, Charts aller Art möglichst sichtbar ausgestellt – und damit wiederum popularisiert.
Daher steht die geringere wissenschaftliche Beachtung dieser Ranglisten im Missverhältnis zur öffentlichen Aufmerksamkeit: Bestsellerlisten, ‚Hot-Hundred-Charts‘, Spotify-Rankings, Ergebnislisten von Meinungsumfragen erzielen teilweise eine große Resonanz, sie werden sogar zur Grundlage eigens gestalteter Shows, Grafiken etc. Im Modus einer geradezu idealtypischen Popularisierung zweiter Ordnung werden die Ergebnisse in Form von Listen, Rankings, Charts präsentiert.
Selbst die Forschung zur populären Kultur richtet ihre Aufmerksamkeit bislang überwiegend auf Szenen, Werke, ästhetische Wahrnehmungen, Fragen der Hegemonie, nicht aber auf die bedeutende Kulturtechnik des Erstellens jener Ranglisten, mit denen Popularität behauptet und durchgesetzt wird oder werden soll. Dank der seit einigen Jahren stark betriebenen Forschung zu der algorithmischen Anordnung digitaler Listen gibt es aber zumindest einen wichtigen Anknüpfungspunkt für weitergehende Forschungen.
In der CRG wird ein genauer Blick auf besagte Ranglisten geworfen, die im alltäglichen Sprachgebrauch teilweise als ‚Charts‘ angesprochen werden: Was sind ihre Gemeinsamkeiten, wie unterscheiden sie sich voneinander? Wo liegen die Unterschiede zur Zählung und Veröffentlichung politischer Wahlergebnisse? Welche Neuerungen haben sich im Zuge der Digitalisierung ergeben? Wie sind die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen beschaffen? Welche Form besitzen die Listen und ihre unterschiedlichen Präsentationen? Welche Resonanz erfahren sie? Welchen Stellenwert besitzen sie in unterschiedlichen kulturellen Bereichen? Inwiefern werden rein quantitative Befunde (Platz 1 einer Verkaufschart oder Platz 1 im Ranking der Bekanntheit von Politikerïnnen) qualitativ bewertet (wenn „Bestseller“ zu einem Qualitätsmerkmal wird oder „populär“ mit „beliebt“ identifiziert wird); kommt es zu re-entries, wenn Qualitäten gezählt und gelistet werden, oder wenn Gezähltes gelistet ist und so qualitative Werturteile zulässt?